Der dunkle Krieg von Midkemia 3 - Der Zorn des Gottes
Die Flucht
Miranda schrie. Das mörderische Brennen in ihrem Kopf ließ einen winzigen Augenblick nach, und in diesem Moment fand sie, was sie gesucht hatte. Der Großteil ihres Bewusstseins war damit beschäftigt, ihre Willenskraft gegen jene einzusetzen, die sie gefangen hatten, aber ein winziges Fragment - ein disziplinierter Bruchteil ihres Bewusstseins - hatte auf der Lauer gelegen. An all diesen Tagen von Verhören und Untersuchungen hatte sie jede noch so kleine Pause genutzt, um diesen einen Splitter ihres Intellekts abzutrennen und sich so über den blendenden Schmerz hinwegzusetzen und zu beobachten. Bei den letzten vier Begegnungen mit den Todespriestern der Dasati hatte sie diese Distanz zu sich selbst geschaffen und ihren Körper gezwungen, den Schmerz zu ertragen.
Er war da, das wusste sie. Entzündete Nerven protestierten gegen die fremden Energien, die über die Oberfläche ihres Geistes zuckten, prüften, tasteten, Einsicht in ihr tiefstes Wesen suchten. Aber sie hatte schon vor Jahrhunderten gelernt, körperlichen Schmerz zu ignorieren. Die geistigen Angriffe waren schwieriger, denn sie wandten sich gegen die Wurzel ihrer Macht, die einzigartige Intelligenz, die sie zur besten Magierin ihres Heimatplaneten machte.
Diesen Dasati-Priestern ging jegliche Subtilität ab: Sie hatten ihre Gedanken aufgerissen wie ein Bär einen Baumstumpf, wenn er nach Honig sucht. Ein schwächerer Geist wäre schon beim ersten derartigen Angriff vollkommen ausgelöscht worden. Nach der dritten dieser Attacken war von Miranda so wenig übrig, dass sie beinahe zur Idiotin geworden wäre. Aber sie hatte sich gewehrt, und das Wissen, dass es ohne Überleben keinen Sieg gab, hatte sie dazu gebracht, ihre beträchtlichen Talente zuerst auf das Durchhalten zu konzentrieren, dann auf Einsicht.
Ihre Fähigkeit, die schrecklichen Angriffe beiseitezuschieben und sich auf diesen winzigen Splitter von Wissen, den sie sich verschafft hatte, zu konzentrieren, verhinderte, dass sie den Verstand verlor. Ihre Entschlossenheit, aus der Gefangenschaft zu fliehen und mit diesem Wissen nach Hause zurückzukehren, gab ihr ein Ziel.
Nun stellte sie sich bewusstlos, ein neuer Trick im Kampf gegen ihre Gegner. Solange die Todespriester nicht über ausgefeiltere Fähigkeiten verfügten als jene, die sie bisher demonstriert hatten, würden sie nicht bemerken, dass sie sich verstellte, und sie hielten sie für bewusstlos. Dieser angebliche Mangel an Bewusstsein war ihre erste erfolgreiche Aktion, seit man sie gefangen genommen hatte. Sie wagte nur gerade genug körperliches Bewusstsein, dass ihr Atem langsam und flach blieb, obwohl sie annahm, dass die Todespriester, die sie studierten, nicht genug über Menschen wussten, um zu verstehen, welche körperlichen Funktionen sie überwachen sollten.
Nein, ihr Kampf fand im Kopf statt, und dort würde sie früher oder später siegen. Sie hatte mehr über die Leute gelernt, die sie gefangen hatten, als diese über sie, da war sie ganz sicher.
Einzeln konnten die Dasati sich nicht mit ihr anlegen - sie hätten nicht einmal einen von Mirandas fortgeschritteneren Schülern besiegen können. Ohne die Falle, die Leso Varen ihr gestellt hatte, um ihr die Orientierung zu nehmen, wäre sie wahrscheinlich leicht mit den beiden Todespriestern fertiggeworden. Aber sie durfte Varen nicht unterschätzen, er war ein Nekromant mit jahrhundertelanger Erfahrung, und allein würde es Miranda schwerfallen, ihn zu besiegen: Soweit sie wusste, war schon dreimal einer seiner Körper getötet worden, von einer Gruppe, die ihn zudem noch überrascht hatte, und dennoch hatte er überlebt. Varen zusammen mit den Todespriestern - das war zu viel für sie gewesen.
Nun wusste sie, was diese Todespriester waren - eine Art Nekromant. Ihr Leben lang hatte Miranda Priestermagie ignoriert, wie es die meisten Magier von Midkemia taten, sie als eine Manifestation der Macht der Götter betrach