Die Krondor-Saga 3
Prolog
Angriff
Das Wetter wurde schlechter.
Am Himmel ballten sich dunkle Wolken zusammen, aus denen immer wieder bösartige Blitze zuckten, die die finstere Nacht in alle Richtungen durchlöcherten. Der Ausguck auf dem höchsten Mast der Morgenröte Ishaps kniff die Augen zusammen; er dachte, er hätte in einiger Entfernung eine Bewegung gesehen, und versuchte jetzt trotz der Dunkelheit etwas zu erkennen, wobei er mit der Hand die Augen vor der salzigen Gischt und dem beißenden, eisigen Wind zu schützen versuchte, der ihm die Tränen in die Augen trieb. Er blinzelte die Tränen weg, und dann war die Bewegung - was für eine es auch immer gewesen sein mochte - fort.
Die Dunkelheit und die Bedrohung durch den Sturm hatten dafür gesorgt, dass der Ausguck hier oben eine elende Nacht verbracht hatte, und das nur, weil die unwahrscheinliche Möglichkeit bestand, dass der Kapitän vom Kurs abgekommen war. Dabei konnte sich der Ausguck so etwas kaum vorstellen, denn der Kapitän war ein erfahrener Seemann, der nicht zuletzt wegen seiner Fähigkeiten, Gefahren aus dem Weg zu gehen, ausgewählt worden war. Und er wusste so gut wie jeder andere Mann, wie gefährlich diese Überfahrt war. Für den Tempel besaß ihre Fracht einen einzigartigen, unermesslichen Wert, und Gerüchte über Piraten, die sich entlang der queganischen Küste herumtreiben sollten, hatten einen gewagten Kurs in die Nähe der Witwenspitze notwendig gemacht - ein Gebiet voller Felsen und Riffe, das man, wenn möglich, am besten meiden sollte. Doch die Morgenröte Ishaps war mit erfahrenen Seeleuten bemannt, die auf jeden Befehl des Kapitäns achteten und ihn unverzüglich befolgten, denn jeder von ihnen wusste, dass ein Schiff, das erst einmal in die Felsen bei der Witwenspitze geraten war, keine Überlebenschance mehr besaß. Die Männer fürchteten um ihr Leben - das war nur natürlich -, aber sie waren nicht nur deswegen ausgewählt worden, weil sie erfahrene Seeleute waren, sondern auch wegen ihrer Treue zum Tempel. Und sie wussten alle, wie teuer ihre Fracht dem Tempel war.
Unten im Frachtraum umringten acht Mönche des Ishap-Tempels von Krondor ein überaus heiliges Objekt - die Träne der Götter. Dabei handelte es sich um ein Juwel von erstaunlicher Größe - so lang wie der Arm eines großen Mannes und zweimal so dick -, das von innen heraus in einem mystischen Licht leuchtete. Alle zehn Jahre wurde in einem Kloster, das verborgen in einem kleinen versteckten Tal in den Grauen Türmen lag, eine neue Träne geformt. Wenn der größte Teil der heiligen Riten vollzogen worden und die Träne bereit war, transportierte eine schwer bewaffnete Karawane sie zum nächsten Hafen in den Freien Städten von Natal. Dort wurde sie auf ein Schiff verladen und nach Krondor gebracht. Von dort aus würde die Träne mit einer Eskorte aus Kriegsmönchen, Priestern und Bediensteten nach kurzer Zeit Salador erreichen, dort an Bord eines weiteren Schiffes verladen und schließlich zum Muttertempel in Rillanon gebracht werden, wo sie die vorhergehende Träne ersetzen würde, deren Macht geschwunden war.
Die wahre Natur und der wirkliche Zweck des heiligen Edelsteins waren nur den obersten Rängen derer bekannt, die dem Tempel dienten, und der Seemann hoch oben auf dem Hauptmast stellte keine Fragen. Er vertraute auf die Macht der Götter und wusste, dass er einem größeren Wohl diente. Und er wurde gut dafür bezahlt, dass er auf Wache aufmerksam war - und nicht dafür, dass er Fragen stellte.
Aber nach zwei Wochen, in denen sie sich mit widrigen Winden und schwerer See herumgeschlagen hatten, begann auch der frömmste Man