Die Midkemia-Saga 2
Der Landsitz
In den letzten drei Wochen war es kälter geworden.
Doch noch immer deutete alles auf die Hitze des Sommers hin. Der Winter, wenn man ihn überhaupt so nennen konnte, dauerte in diesem Land nicht länger als knappe sechs Wochen und brachte nur kurze, kalte Regen aus dem Norden. Die Bäume behielten den Großteil ihrer blaugrünen Blätter, und nichts zeigte an, dass der Herbst verstrichen war. In den vier Jahren, die Pug in Tsuranuanni gelebt hatte, konnte er keines der vertrauten Anzeichen für die verschiedenen Jahreszeiten bemerken: keine Vogelwanderungen, keinen Frost am Morgen, keinen Regen, der gefror, keinen Schnee, auch nicht das Knospen wilder Blumen. Dieses Land schien sich immer im ewigen Sommer zu befinden.
Die Shinzawai-Karawane näherte sich den Grenzen des Familienbesitzes im Norden. Pug und Laurie hatten unterwegs nur wenig zu tun gehabt. Nur ab und zu erhielten sie kleine Aufgaben: Sie mussten die Kochtöpfe reinigen, den Kot der Needras fortschaffen und Vorräte auf- und abladen. Jetzt fuhren sie hinten auf einem Wagen mit. Ihre Beine baumelten über den Rand. Laurie biss genüsslich in eine reife Jomach-Frucht. Er spuckte die Kerne aus und fragte: »Was macht deine Hand?«
Pug musterte seine Rechte und untersuchte die rote Narbe, die über die ganze Handfläche verlief. »Immer noch steif. Ich glaube, besser wird sie nicht mehr.«
Laurie warf einen Blick darauf. »Glaube kaum, dass du je wieder ein Schwert halten wirst.« Er grinste.
Pug lachte. »Du wohl auch nicht. Jedenfalls glaube ich nicht, dass sie für dich einen Platz bei der Kaiserlichen Garde finden werden.«
Laurie spuckte erneut einen Schwall Kerne aus. Sie prasselten auf die Nase der Needra, die den Wagen hinter ihnen zog. Das sechsbeinige Tier schnaubte, während der Fahrer wütend mit seinem Stock fuchtelte.
»Merk dir eines, mein lieber Freund«, erklärte Laurie in hochmütigem Ton. »Wir Troubadoure werden oft von Männern bedrängt, die wenig vornehm sind, von Räubern und Halsabschneidern zum Beispiel, die es auf unser schwer verdientes Geld abgesehen haben. Da bleibt man nicht lange im Geschäft. Wenn du verstehst, was ich meine.«
Pug lächelte. Er wusste, dass ein Troubadour in jeder Stadt fast als Heiliger galt. Wurde ihm ein Leid zugefügt oder wurde er ausgeraubt, dann verbreitete sich die Kunde darüber blitzschnell, und kein anderer Troubadour suchte diese Stadt jemals auf. Aber unterwegs auf der Straße, da war das etwas anderes. Er zweifelte nicht an Lauries Fähigkeit, sich selbst zu verteidigen. Dennoch wollte er nicht, dass der Sänger in diesem hochmütigen Ton mit ihm sprach.
Gerade setzte er zu einer Erwiderung an, als Rufe von der Spitze des Zuges ihn schweigen ließen. Soldaten eilten vorwärts, und Laurie wandte sich an seinen kleineren Kameraden. »Was, meinst du, hat das zu bedeuten?«
Ohne auf eine Antwort zu warten, sprang er vom Wagen und eilte hinter den Soldaten her. Pug folgte ihm. Als sie die Spitze der Karawane erreichten und hinter der Sänfte des Herrn der Shinzawai verharrten, konnten sie Gestalten auf der Straße sehen, die auf sie zuhielten. Laurie packte Pug am Ärmel. »Reiter!«
Pug wagte seinen Augen nicht zu trauen. Tatsächlich schien es so, als näherten sich ihnen Reiter auf der Straße vom Herrenhaus der Shinzawai. Als sie näher kamen, konnte er erkennen, dass es sich jedoch nur um einen Mann zu Pferde und drei Cho-jas handelte, die alle dunkelblau gefärbt waren.
Der Reiter, ein junger braunhaariger Tsurani, größer als die meisten von ihnen, stieg ab. Seine Bewegungen waren ungelenk. »Die werden niemals eine militärische Bedrohung darstellen, wenn sie nicht besser reiten lernen«, bemerkte Laurie. »Sieh nur, er hat weder Sattel noch Zaumzeug. Nur ein paar Lederriemen, mit denen er das Pferd lenkt. Und das arme Tier sieht aus, als wäre es seit mindestens einem Monat nicht mehr anständig versorgt worden.«
Der Vorhang