Hellgate
Der kleine Junge
Ein Wecker klingelte an einem Morgen im August in einem kleinen, überfüllten Zimmer. Der Arm eines neunzehnjährigen Jungen stellte den Wecker ab. Neben dem schmalen Bett war eine Pinnwand mit Bildern an der Wand angebracht, welche größtenteils von seinem verstorbenen Onkel stammten. Die vollen Kartons deuteten darauf hin, dass er kürzlich umgezogen war. Lucius Rabenstein erhob sich aus seinem Bett. Seine Haare reichten ihm fast bis zur Brust und hatten eine rotbräunliche Farbe. Aus seinem Kinn sprossen blutrote Bartstoppeln. Sein Körper war kräftig, allerdings mit einigen Fettansätzen. Je nach Lichteinstrahlung war es möglich, durch die Schattierungen seine Bauchmuskulatur zu erkennen. Er griff zu einem schwarzen, am Boden liegenden T-Shirt. Auf der Vorderseite war in altdeutscher Schrift "Endstille" zu lesen. In der zweiten Zeile stand in lateinischer Schrift "Verführer". Darunter war ein deutscher Soldat mit einer Pickelhaube zu sehen. Er trug eine blutverschmierte Schürze und in der Hand ein Schlachterbeil. Bei genauerem Hinsehen fiel auf, dass es sich um den ehemaligen deutschen Kaiser und König von Preußen handelte. Auf dem Rücken des Hemdes war der blutverschmierte Adler von Preußen zu sehen, zusammen mit der Losung "The essence of war is victory itself". Lucius zog seine abgeschnittenen Bundeswehr-Tarnhosen an und schlüpfte in seine Bundeswehr-Kampfstiefel. Sein Wunsch war es, diese Kleidung auch im Beruf zu tragen, zusammen mit den Schulterklappen, welche mit vier goldenen Sterne geschmückt waren. Der Beruf eines Heerführers war sein größter Wunsch, für den er auch seine Haare opfern würde. Bereits als Kind hegte er ein überaus großes Interesse am Militär. Das Holz der alten Treppe knackste unter seinem Gewicht, als er die Treppe herunterging. Es war fünf Uhr morgens. Seine Großeltern schliefen noch. Lucius machte sich nichts zu essen. Seitdem er die Probleme mit seiner Mutter hatte, hatte er die Lust am Essen verloren und nahm nur noch Nahrung zu sich, wenn er es benötigte. Trotzdem wurde er nur sehr langsam schlanker. Da er aber wusste, dass er Hunger bekommen würde, aß er noch schnell einen Apfel und einen Landjäger. Lucius packte rasch seinen Schulranzen. Plötzlich fiel das Geschichtsbuch auf den Boden. Er hob es auf und sah auf die Seite, auf der es gelandet war. Wütend warf er es in die Ecke. Auf der Seite war ein blaues Balkenkreuz mit weißer Umrandung zu sehen. Auf der Schnittstelle der Balken befand sich ein schwarzes Sonnenrad auf weißem Grund. Das Mutterkreuz löste bei ihm ungute Gedanken aus, finster, grausam und gefährlich. Lucius ließ sich nicht anders beschreiben als eine tickende Zeitbombe. Zehn Jahre lang hatten sich Hass und Wut in ihm angesammelt, welche sich nie entladen konnten. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie explodierten. Wütend verließ Lucius das Haus. Sein Zorn war nur teilweise verraucht, im Hintergrund existierte er nämlich immer wie sein Schatten. Im Bus nach Kaiserslautern konnte er sich etwas abregen, indem er sich in die Lieder auf seinem MP3-Player vertiefte. Sein Musikgeschmack wurde hauptsächlich von Metal beherrscht. Zu seinen liebsten gehörten Pagan und Viking Metal. Am Hauptbahnhof angelangt, setzte sich Lucius in den Zug nach Rockenhausen, wo er zur Schule ging. Die zwölfte Klasse hatte vor ein paar Wochen begonnen. Als er in Rockenhausen aus dem Zug stieg, hörte er Rufe hinter sich und blickte auf seinen Freund Parcival.
"Ich bin froh, dich wieder zu sehen, Lucius", sagte dieser.
"Ich freue mich auch", antwortete Lucius.
"Du siehst nicht gut aus. Du hast stark abgenommen, so wie es scheint. Haste immer noch Probleme zu Hause?"
"Nein", antwortete Lucius kurz.
"Gut, dass es mit deinen Eltern wieder einigermaßen läuft", meinte Parcival erleichtert.
Lucius schaute ihn an und sagte: "Tut es aber nicht. Das ist nicht