Nebelwelt
KAPITEL I
EIN SCHATTEN IN DER NACHT
Ein kühler, böiger Wind kam stöhnend von Norden herab, und er wirbelte die in den engen Gassen von Nebelhafen hängenden Dunstfetzen und den leise fallenden Schnee durcheinander. An jeder Tür hingen Laternen oder Lampions und erzeugten kleine gelbe, rote oder orange Inseln aus Licht vor einem wahren Ozean aus Grau. So früh am Morgen, kurz bevor die schwache gelbe Sonne über Nebelhafen aufging, war der Dunst immer am dichtesten.
Ein grauer Schatten kletterte selbstsicher über ein schlüpfriges, geneigtes Dach. Die schlanke Gestalt war vor dem Hintergrund des wirbelnden Schnees kaum zu erkennen, denn das Weiß ihres Thermoanzugs löste sich harmonisch im umgebenden Schnee und Nebel auf. Die Thermoelemente des Anzugs hielten seinen Träger behaglich warm und isolierten gegen die schneidende Kälte des Windes. Der Mann - sein Name war Katze - kauerte sich neben einem vorspringenden Dachfenster nieder und schob die Kapuze des Anzugs in den Nacken. Zum Vorschein kam ein junges, blasses Gesicht, das von wachsamen schwarzen Augen und deutlich sichtbaren Pockennarben auf den Wangen beherrscht wurde. Katze zuckte zusammen, als der scharfe Wind über sein ungeschütztes Gesicht fuhr, dann ließ er sich vorsichtig über die schlüpfrige, schneebedeckte Schräge der Dachziegel gegen einen rauchenden Schornstein rutschen. Er suchte am unregelmäßigen Mauerwerk des Rauchfangs nach Halt und beugte sich über die Dachkante, um einen Blick nach unten zu werfen.
Von seinem hohen Aussichtspunkt übersah Katze die schiefen und verwinkelten Dächer Nebelhafens - Dächer, die sein Jagdrevier und sein ganz privates Königreich waren. Er hatte den größten Teil seiner erst zwanzig Lenze damit verbracht, sein Handwerk zu lernen und seine Kunst stetig zu vervollkommnen, und mit der Zeit war er zu einem der besten Einbrecher geworden, die das Diebesviertel je hervorgebracht hatte. Das kunstvoll verzierte Eisen und Holz der Gebäude Nebelhafens diente ihm als Straßen und Wege, auf denen er sich mit Händen und Füßen fortbewegte, und die Gesimse und Giebel der Dächer als Wegweiser und Rastplätze.
Katze war ein Dachläufer.
Das Licht des großen Halbmondes brach klar und strahlend durch die wirbelnden Nebel und wurde hell von den schneebedeckten Flächen der Dächer und der Straßen reflektiert, eine Szenerie von spröder Schönheit. Zu seiner Linken erblickte Katze die vereinzelten Lampen des Diebesviertels, eines schäbigen Quartiers mit schmutzigen Straßen, dessen vorstehende Häuser sich zusammendrängten, als suchten sie Schutz und Wärme in der kalten Nacht. Die wenigen Lichter funkelten in der umgebenden Dunkelheit purpurn wie Rubine auf Samt. Zu seiner Rechten lagen das Technikerviertel und der Raumhafen.
Suchscheinwerfer zuckten durch die Nacht, blaues Sturmfeuer, das schlanken kristallenen Lanzen gleich zitternd auf und ab tanzte. In regelmäßigen Abständen brannten Öllampen und Fackeln auf dem Raumhafen und markierten weite Landeflächen, jede einzelne mehr als einen Kilometer im Durchmesser. Der Kontrollturm aus Stahlglas, das letzte Überbleibsel der einstigen Imperialen Basis, war das einzige Gebäude des gesamten Raumhafens, das noch immer von hellen elektrischen Lichtern beleuchtet wurde. Auf den Landeplätzen standen weniger als ein Dutzend Schiffe, die meisten von ihnen nur noch Wracks, verlassen und ausgeschlachtet, aller Hochtechnologie beraubt. Eine Handvoll Schmugglerschiffe teilte sich einen Landeplatz, fünf silberne Nadeln, die im Licht der Fackeln rötlich schimmerten.
Plötzlich flammten im Umkreis des größten Landefelds Signallichter auf, wie Leichenfeuer rings um ein neu errichtetes Monument, und Katze erkannte mit wachsender Erregung, dass ein Schiff hereinkommen würde. Schiffe bedeuteten in jenen Tagen ein immer seltener werdendes Ereignis, und je