Frostsplitter
Zwei
Sabira und Kyran stapften den Hang hinunter, die Augen auf den Rücken ihrer Mutter geheftet, die ihren Jagdbogen und den Köcher mit den Pfeilen über der Schulter trug.
»Wir sind bald da.«
Tarannas Worte rissen Sabira aus ihren Gedanken. Das hier war ihr dritter Jagdausflug und sie konnte nur hoffen, dass er besser ausgehen würde als die ersten beiden. Beim ersten Mal hatte Sabira alles verscheucht, was ihnen in die Schusslinie gekommen war, und das zweite Mal war auch nicht viel besser gelaufen. Taranna hatte es mit einem Seufzer hingenommen, aber Kyran war nicht so geduldig. Ein drittes Mal konnte sie sich eine derartige Schlappe nicht leisten.
»Ich bin gewappnet, diesmal mach ich es richtig«, versprach sie, während sie ihrer Mutter den steinigen Felspfad hinunterfolgte.
Kyran schnaubte abfällig, Taranna hielt an und drehte sich mit ernster Miene um.
»Du bist erst dreizehn, Sabira, und das lernt man nicht im Handumdrehen. Ich habe meine ersten Jagdgänge auch verpatzt. So wie die meisten Leute.« Mit einem strengen Blick zu Kyran fügte sie hinzu: »Auch du, mein Sohn. Außerdem erwarte ich jetzt ein reiferes Verhalten von dir. Du wirst bald einen Frostsplitter bekommen - also musst du lernen, Verantwortung zu übernehmen.«
Sabira und Kyran wechselten einen Blick miteinander und verdrehten die Augen hinter dem Rücken ihrer Mutter, die sich abrupt umgedreht hatte und ihren Weg in den Wald fortsetzte.
Das Ende der steinernen Treppe von Adranna lag schon ein gutes Stück hinter ihnen, ja sie waren beinahe über die Geröllhalden der Vorberge hinaus. In der gefrorenen Erde spitzten Grasschösslinge hervor, die sich mühsam aus ihrem eisigen Gefängnis kämpften. Sabira lächelte. In Adranna wagte sich höchstens ein Hauch von Grün hervor, aber hier unten war die Landschaft mit Gebüsch und immergrünen Bäumen gesprenkelt. Warm war es auch, trotz des Windes. Sabira lockerte die schweren Pelze um ihren Hals. Hoffentlich würde Taranna ihr erlauben, einen Teil ihrer Kleidung abzulegen und im Gebüsch zu verstecken, wenn sie den Wald erreicht hatten. Sie brodelte ja schon vor Hitze.
Als sie um die nächste Biegung kamen, blieben sie wie angewurzelt stehen. Dichter Rauch stieg über dem Hügel auf.
»Was in aller Welt ...?«, murmelte Taranna und ging schneller. Hastig lief Sabira hinterher, um mit den langen Schritten ihrer Mutter mitzuhalten. Nach ein, zwei Minuten hatten sie den Hügel umrundet und Sabira blieb fast das Herz stehen.
»Das gibt's doch nicht ...«, murmelte Kyran neben ihr.
Der Wald stand in Flammen.
Wie war das möglich? Die Hitze tobte in Wellen über sie hinweg - selbst hier, mehrere Hundert Schritt vom Waldrand entfernt, war es kaum zu ertragen. Mit brennenden, schreckgeweiteten Augen starrte Sabira auf die Verwüstung. Überall flogen Ascheflocken und Glutbrocken herum, fegten über den Boden, füllten den ganzen Himmel aus, der in dichten dunklen Rauch gehüllt war.
Taranna stand da, kreidebleich vor Entsetzen. »Ich muss wissen, was hier passiert ist«, stieß sie hervor. »Wir gehen noch ein bisschen näher heran, aber ihr beide bleibt dicht hinter mir und tut, was ich euch sage, und zwar aufs Wort. Ich will nicht, dass einer von euch verletzt wird.«
Sabira hätte am liebsten kehrtgemacht, aber sie folgte ihrer Mutter und arbeitete sich tapfer vorwärts, die Hände schützend über den Mund gepresst. Der Wald vor ihnen brannte lichterloh. Von Zeit zu Zeit blies ein Windstoß ihnen den Rauch direkt ins Gesicht. Nach einer Weile hielt Taranna eine Hand hoch und Sabira und Kyran blieben stehen, starrten mit tränenden Augen ins Feuer.
Knisternde Flammen leckten an den Baumstämmen hoch, liefen über die Äste und ließen das frühlingsgrüne Holz verkohlt und tot zurück. Ein durchdringender Gestank nach verbranntem Fleisch hing in der Luft: zahllose Lebewesen waren von den grausamen Flammen einfach ausgelöscht worden.