Die Schloßkinder auf Rabenburg
2. Kapitel. In der neuen Heimat.
Inhaltsverzeichnis
Zwei Kinder, Bruder und Schwester, saßen unter vielen fremden Menschen in dem Zuge, den die Krähen überflogen. Das Mädel hatte silberblondes Haar, und sein Gesicht sah blaß und zart aus; es glich einer weißen, feinen Gartenblume. Der Knabe war kräftiger, blühender, er hatte dunklere Haare, doch seine Augen waren gerade so blau und strahlend wie die der Schwester. Die Kinder saßen still nebeneinander und blickten zum Fenster hinaus, manchmal sah die blasse Schwester den Bruder an, dann nickte der und sagte: »Hab' keine Angst, Gundel, ich bin ja bei dir!«
Darauf lächelte die Kleine zuversichtlich und schmiegte sich noch ein wenig fester an den Bruder an. Dann und wann versuchte jemand von den Mitreisenden mit den Kindern ein Gespräch anzufangen. Woher sie kämen, wohin sie wollten, warum sie so allein reisten? Doch die beiden gaben nicht viel Antwort und die Fremden gaben das Fragen immer bald wieder auf. Bei jeder Station sah der Knabe emsig in sein Taschenbüchlein und die Schwester fragte: »Sind wir bald da?«
»Noch nicht, noch nicht,« erwiderte der Bruder, bis er endlich rief: »Auf der nächsten Station steigen wir aus!« Ganz eilfertig holte der Knabe ein bescheidenes Handköfferlein aus dem Gepäcknetz, suchte Mäntel und Schirme zusammen und sagte immer wieder: »Gleich sind wir da!«
»Na, so schnell geht's noch nicht,« brummte ein dicker Herr, der den beiden gegenüber saß, »der Zug hält erst in P., bis dahin fahren wir noch gut eine halbe Stunde.«
»Wir steigen in Friedebach aus,« sagte der Knabe sehr höflich und bescheiden.
»Dort hält der Zug nicht.«
»Doch, hier steht's,« rief der Knabe nun eifrig und hielt sein Taschenbüchlein dem dicken Herrn hin. Der sah hinein, schüttelte mit dem Kopf und sagte trocken: »Da steht's schon, aber es stimmt nicht. Ich fahre oft hier, der Zug hält in Friedebach nicht, es ist ein Schnellzug.«
Die Kinder sahen sich erschrocken an, Gundel wurde noch blässer vor Schreck, aber der Bruder meinte rasch: »Er wird schon halten der Herr Rat hat es doch gesagt.«
»Er hält nicht,« rief der dicke Herr nun ärgerlich und bat den Schaffner herbei, der eben durch den Wagen ging. Der kam, betrachtete die Fahrkarten der Kinder und sagte: »Ja, ihr hättet in L. umsteigen müssen, der Zug geht weiter, er hält wirklich nicht in Friedebach.«
Gundel brach in Tränen aus, aber der Bruder hielt sich tapfer und fragte wie ein alter erfahrener Reisender, wie er wohl nach Friedebach käme? »Mit dem nächsten Zug, nach drei Stunden geht einer von P. zurück,« gab der Schaffner Auskunft. »Aber freilich nachzahlen müßt ihr in P., was das Billet mehr kostet, auch ein neues nach Friedebach lösen.«
In die schmalen seinen Gesichter stieg dunkle Glut. Die beiden sahen sich verlegen an und endlich sagte der Knabe leise, beschämt: »Wir haben kein Geld.«
»Ja, das ist sehr schlimm,« meinte der Schaffner. Und dann redeten alle im Wagen hin und her, die Kinder wurden darüber immer verlegener, bis schließlich der dicke Herr sagte: »Ich steige auch in P. aus, ich will schon sehen, wie es wird.« Dann wandte er sich an die Geschwister mit der Frage: »Wohin wollt ihr denn? Ich kenne die Gegend gut.«
»Nach der Rabenburg,« erwiderte der Knabe und seine Stimme klang nun ganz hell vor Freude.
»So, so,« brummte der Frager, »kenne ich. Da könntet ihr aber gut von P. aus gehen und euer Gepäck könnte der Botenkarl tragen. Zwei Stunden, weiter ist's nicht, freilich dem Mädel mag's zuviel sein. Wollt ihr zum Herrn von Tracht?«
Die Kinder nickten beide und das Mädel rief froh: »Zwei Stunden geh' ich schon, Dieter.« Sie sah hinaus, sah draußen den Wald an den Schienen entlang stehen und flüsterte halb sehnsüchtig halb bang: »Geht der Weg wohl durch den Wald?«
»Ein Stücklein schon, aber seht einmal rasch hinaus, da drüben, das ist die Rabenburg,« rief der dicke Herr.