Das Haus am Ende der Bäckergasse
Im März in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts:
Donnerstagabend
Es war schon fast dunkel, das Wetter nicht gerade frühlingshaft warm, als die Blondine mit dem arg kurzen roten Rock und dem nicht sehr dicken beigefarbenen Mantel über den Bürgersteig stöckelte. Die spitzen Absätze der High Heels knallten laut auf dem Pflaster. Nicht nur ein Passant drehte sich nach ihr um, wenn sie an ihm vorübergegangen war, und grinste still und heimlich in sich hinein.
Zwei jüngere Männer, die vielleicht noch etwas Blut im Alkohol haben mochten, riefen ihr zu: "Hee, du, der Tuchmacherweg ist aber ganz woanders!" Sie hörte sie nicht, auch nicht das nachfolgende grölende Lachen, und ob sie wusste, dass der Tuchmacherweg der trostlose 'Strich' Sächelens war, konnte man durchaus bezweifeln. Die Blondine hatte anderes im Sinn.
Heute Abend wollte sie sich endlich einmal aussprechen. Aussprechen mit ihm, ihrem Ingo, wollte sich ihm offenbaren. Sie ahnte schon seit Langem, dass er mehr für sie empfand, wusste jedoch auch, dass er sich wegen seines Berufes natürlich sehr zurückhalten musste. Sie lächelte ein wenig. Manchmal muss man die Männer halt zu ihrem Glück zwingen, dachte sie. Sie wollte schon dafür sorgen, dass alles ordnungsgemäß ablief, er ohne Sorge sein konnte. So dumm war sie ja nun auch wieder nicht.
Sie war ihrer Freundin Ingrid unendlich dankbar, dankbar wegen zweier Dinge: Sie dazu gebracht zu haben, den Werner rauszuwerfen, als der plötzlich Besitzansprüche anmeldete, und ihr die Adresse von Ingo vermittelt zu haben, um diese Beziehung und deren Ende auch psychisch aufzuarbeiten.
Inzwischen hatte sie ihrer Kollegin Traudel in der Boutique, wo sie als Verkäuferin arbeitete, schon derart häufig von Ingo vorgeschwärmt, dass die es bald nicht mehr hatte hören können. Zunächst hatte sie sich gescheut, zu einem Therapeuten zu gehen, aber nachdem ihr Ingrid längere Zeit zugeredet und dabei erwähnt hatte, dass auch sie schon sehr gute Erfahrungen mit ihm gemacht hatte, hatte sie sich überreden lassen.
Und jetzt war sie geradezu süchtig nach ihm. Wenn die abendliche Stunde zweimal die Woche bei ihm nahte, war sie im Geschäft manchmal kaum noch zu gebrauchen. Dann stand sie hinter der Kasse, träumte vor sich hin und nahm gar nicht mehr wahr, wie Traudel sie spöttisch betrachtete.
Ein lautes Hupen riss sie aus ihren Gedanken. Sie hatte die Straße überquert, ohne auf den Verkehr zu achten. Der Autofahrer lehnte sich aus dem Seitenfenster und rief ihr etwas zu, das sich vielleicht nicht wesentlich von dem unterscheiden mochte, was ihr vor Kurzem die beiden Betrunkenen zugerufen hatten. Aber das war ihr gleichgültig.
Er sah ja auch so gut aus, mit seinen hellbraunen Haaren, ihr Ingo. Und die tiefe, volltönende Stimme! Und die blauen Augen! Fast so wie dieser ... Wie hieß er doch gleich? ... in diesem Film ... Mein Gott, was für ein Mann! Wenn er sie mit seinen blauen Augen ansah, überlief es sie heiß und kalt. Und wie verständnisvoll er war, wenn sie von Werner erzählte! Eben so ganz anders als Werner. Er hörte ihr zu! Nein, es musste einfach so sein: Er war an ihr interessiert, vielleicht sogar - sie wurde rot und war froh, dass man das jetzt im Dunkeln nicht sehen konnte - wirklich in sie verliebt. Und das war ihr großer Kummer. Sie hatte mehrmals während der Sitzungen Andeutungen gemacht, aber er war stets ausgewichen. Erst in letzter Zeit schien er ihr unsicherer geworden zu sein. Hatte nicht mehr gleich das Gespräch zurück auf Werner gebracht.
Sie blieb einen Augenblick lang stehen und sah sich um. So sehr hatte sie geträumt, dass sie nicht mehr genau wusste, wo sie sich im Augenblick befand. Ja, dort drüben das Neue Rathaus, natürlich, weit entfernt von seiner Praxis war sie nich