Das Portland-Projekt
PROLOG
DREISSIG MEILEN NORDÖSTLICH VON CAPE HATTERAS, NORTH CAROLINA
30. JANUAR 1921
Durch sein Periskop beobachtete Kapitän Hans Schultz das Chaos an Bord des Schoners Carroll A. Deering und lächelte. Vor dem Gebirge grauer Sturmwolken, das sich in der Ferne auftürmte, war der weiße Rumpf des eleganten Fünfmasters leicht zu erkennen. Die Mannschaft des Frachtseglers rannte in einem Zustand kopfloser Panik wild auf dem Deck umher.
Schultz beschrieb den Männern im Kommandostand seines Unterseeboots, der Bremen, was er sah.
»Ein Mann reißt sich büschelweise die Haare aus, als rupfe er ein Huhn. Ein anderer hat den Mund weit aufgerissen und stößt offenbar laute Schreie aus, während er vollkommen planlos auf dem Schiffsdeck herumrennt. Zwei Mannschaftsmitglieder werfen Papiere - Aktenordner, soweit ich erkennen kann - und dann auch noch alle möglichen Gegenstände über Bord.«
»Welche Art von Gegenständen sind das?«, fragte der Wissenschaftler Istvan Horváth. Obwohl er gebürtiger Ungar war, sprach er doch fließend Deutsch, wenn auch mit einem deutlichen Akzent. Er konnte immer wieder nur staunen, welche Wirkung seine Erfindung - er hatte sie Irrsinnswaffe genannt - entwickelte.
Per Knopfdruck löste sie Wahnzustände aus.
»Gepäckstücke wie Koffer und Taschen. Kleidung. Bücher. Teile der Schiffsausrüstung.«
»Faszinierend.«
Schultz' Aufmerksamkeit wurde von zwei Männern gefesselt, die sich an den Rettungsbooten zu schaffen machten. Sie hatten lange Messer in den Händen, mit denen sie die Halteseile der Davits durchsäbelten.
»Sie schneiden gerade ein Rettungsboot los«, berichtete Schultz.
»Und steigen sie nicht ein?«, fragte Horváth.
»Nein. Sieht eher so aus, als ob ... Ja, es ist kieloben im Wasser gelandet. Jetzt nehmen sie sich das zweite Boot vor und - wie es scheint - wollen sie offenbar auch dies abwerfen.« Er blickte vom Periskop zu Horváth, einem Mann von schmächtiger Statur mit einer Hornbrille und beginnender Glatze, der Eintragungen in einem Notizbuch mit Ledereinband machte.
»Auch wenn es diesmal etwas länger gedauert hat, bis die Wirkung zu beobachten war«, sagte Horváth mit einer Mischung aus Verwunderung und verhaltenem Stolz, »das Ergebnis ist immer das gleiche. Ich vermute, dass der unterschiedliche Ablauf des Geschehens auf die Tatsache zurückzuführen ist, dass das Schiff einen Rumpf aus Holz hat.«
»Dann werden wir uns in Zukunft nur noch an Schiffe mit stählernem Rumpf heranmachen«, sagte Schultz. »In Periskoptiefe treibe ich mich nur höchst ungern für längere Zeit in einem Gebiet herum, das von der Küstenwache kontrolliert wird.«
Sie hatten eine reiche Auswahl an Zielen entlang der Ostküste der Vereinigten Staaten, einer der am stärksten frequentierten Seestraßen der Welt, daher konnten sie es sich leisten, wählerisch zu sein. Die Deering war das vierte Schiff, das sie während der letzten drei Wochen angegriffen hatten. Als Handels-U-Boot konstruiert und gebaut, um während des Ersten Weltkriegs Versorgungsgüter durch die englische Seeblockade zu schmuggeln, hatte sich der Aufgabenbereich der Bremen bereits während ihrer Jungfernfahrt grundlegend verändert. Offiziell war sie für verschollen erklärt worden, damit sie als geheimer Prüfstand für eine experimentelle Kriegswaffentechnologie benutzt werden konnte, die Deutschland gewiss zum Sieg verholfen hätte, wäre sie rechtzeitig perfektioniert worden.
Als aber die Mittelmächte zur Kapitulation gezwungen wurden, war die Wahnsinnswaffe noch nicht einsatzbereit. Daher gingen Schultz und Horváth einen Pakt ein. Sie stahlen die Bremen und verschwanden mitsamt ihrer Mannschaft, die sich diesem Pakt anschloss, sowie der mittlerweile einsatzfähigen Waffe von der Bildfläche, um ihr neues Ziel, möglichst schnell möglichst reich zu werden, zu verwirkli