Die Oma und der Punk auf heißer Spur
Montag
Emma hielt den Deckel der bauchigen Kanne fest und goss Tee in vier zarte Porzellantassen. Das goldbraune Getränk wirbelte in einem Strudel, bis es endlich zur Ruhe kam und feine Dampfwölkchen daraus in die Höhe tanzten.
»Bitte, bedient euch.« Emma stellte die Kanne auf den kleinen Couchtisch, nahm eine der Tassen und setzte sich in ihren Sessel. Es schien ihr eine Ewigkeit her zu sein, als sie das letzte Mal ihre Nachbarinnen zur Teerunde eingeladen hatte. Früher brachten diese Treffen Abwechslung in ihr Leben, doch heute war das anders. Es fühlte sich an wie eine leidige Pflicht. Emma pustete über ihren Tee. Es hatte sich vieles verändert. Sie hatte sich verändert.
»Ich wusste gar nicht, dass man aus einem Altersheim auch wieder ausziehen kann.« Rosalie Rittmansperger, Emmas Nachbarin zur Linken, rührte mit einem goldenen Löffel und gespreiztem Finger in ihrer Tasse. Sie saß steif wie ein Brett auf der vorderen Kante des Sofas und trug wie immer ein pastellfarbenes Kostüm, dazu farblich passende Pumps und eine bis in die Haarspitzen perfekt modellierte Frisur.
»Ich dachte, wenn man erst einmal dort eingeliefert wird, bleibt man bis zum Schluss.« Verlegen räusperte sie sich über ihre unglückliche Wortwahl. »Ihr wisst schon, was ich meine«, fügte sie leise hinzu und nippte an ihrer Tasse. Ihr goldenes Armband klirrte bei jeder Bewegung.
»Ich kann dich verstehen, Emma«, sagte Hannelore Häkelsbacher, ihre Nachbarin zur Rechten. Sie tätschelte Emmas Knie und lächelte milde. Hanne war eine herzensgute Frau. Trotz ihres Reichtums war sie bescheiden geblieben und fürsorglich um ihren Mann bedacht, der seit seinem tragischen Reitunfall an den Rollstuhl gefesselt war.
»Solange man noch einigermaßen auf den Beinen ist, sollte man nicht in ein Altersheim gehen. Ich würde Julius niemals dorthin bringen«, sagte sie und seufzte leise.
»Obwohl eine Seniorenresidenz nicht die schlechteste Option ist.« Diese Aussage konnte nur von Patrizia von der Schleich kommen. Sie wohnte in der Villa gegenüber auf der anderen Straßenseite. Mit ihren 47 Jahren war sie um einiges jünger als die anderen Damen dieser Runde und verstand recht wenig vom Älterwerden. Ihre Klagen beschränkten sich auf erste Fältchen und grauen Haaransatz. Sie wusste noch nichts von Arthrose, Blasenschwäche oder anderen gesundheitlichen Beschwerden, die sich mit zunehmendem Alter bemerkbar machten. Patrizia schlug ihre makellosen Beine übereinander und strich lässig ihre blondierten Haare hinter das Ohr.
»Ich weiß nicht, warum du Konstantin das angetan hast und aus der Einrichtung geflohen bist. Er hatte sich alle Mühe gegeben, dir einen der luxuriösesten Heimplätze der Stadt zu organisieren, und du? Du hast ihn dermaßen hereingelegt«, sagte sie anklagend.
Emma schnaubte durch die Nase und musste sich beherrschen, dieser Schlange nicht den heißen Tee in ihre überschminkte Visage zu kippen. Sie sollte vorsichtig sein. Es würde sie nicht wundern, wenn Patrizia von der Schleich als Spionin für ihren Sohn fungierte.
»Ich habe Konstantin nicht hereingelegt, wie du es so schön formulierst, meine Liebe.« Emma bemühte sich, freundlich zu bleiben, doch ihr spitzer Unterton war nicht zu überhören. »Er und Barbara haben es bevorzugt, wieder in ihr altes Domizil am Stadtrand zu ziehen, weil ihnen das Leben in der Stadt nicht mehr gefiel.«
Patrizia lachte schnippisch. Sie kannte wahrscheinlich die Geschichte von Barbaras Intrigen und dem nur zum Teil geglückten Versuch, Emma in ein Altersheim abzuschieben, um selbst in die Villa ziehen zu können. Immerhin war das Anwesen eine der schönsten Immobilien im begehrten Nobelviertel der Stadt. Wenn Emma sich nicht zur Wehr gesetzt hätte, würden ihr Sohn und seine Frau heute noch hier residieren. Was die beiden Patrizia genau erzählt hatten, wusste Emma nicht, doch die Wahrheit auf keinen Fall. Die kannten nur wenige, und das sollte auch so bleiben.