Geheime Quellen
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Eine Weile schwiegen sie einträchtig. Dann fragte Grif_foni: »Was dachtest du, was da zum Vorschein käme?«
»Ich fürchtete - das Verhalten der Männer schien mir darauf hinzudeuten -, sie hätten eine Leiche gefunden«, druckste Brunetti.
»Passiert das oft?«, fragte Grif_foni, die unvermutet stehengeblieben war.
»Nein, zum Glück.« Brunetti versuchte ein Lächeln hinzubekommen. »Nicht oft.«
Seine Kollegin hob nachdenklich das Kinn: »Diese Frauenleiche auf dem Lido - wann war das, vor sechs, sieben Jahren?«
Brunetti erinnerte sich. Der Fund hatte die ganze Stadt schockiert.
»Wo kamen die Mörder her? Bangladesch?«, fragte Grif_foni.
»Indien. Aber das war vor deiner Zeit.«
Sie nickte. »Ich kenne den Fall nur aus der Zeitung. Il Mattino ist geradezu ausgeflippt, ja alle Blätter waren voll davon. Die haben sich darauf gestürzt wie die Geier.«
Brunetti war die Sache noch gegenwärtig, obwohl er zu der Zeit in Ljubljana gewesen war, um die Auslieferung eines Italieners zu erwirken, der seinen Arbeitgeber ermordet hatte und nach Slowenien geflohen war. Bei Brunettis Rückkehr saßen die Mörder der Frau bereits hinter Schloss und Riegel.
»Sie wurde in einem Kanal auf dem Lido gefunden, nicht wahr?«, fragte Grif_foni. »Und dann war da noch etwas mit einem Koffer.«
Brunetti erinnerte sich an die grausigen Einzelheiten. »Getötet wurde die Frau in Mailand. Die Leiche wurde in einem Koffer hierhergebracht und auf dem Lido ins Wasser geworfen.«
»Es ging um Geld, oder?«
»Wann denn nicht?«
»Den Rest habe ich vergessen«, sagte Grif_foni. »Irgendwas mit einem Taxi.«
Brunetti blieb stehen und zupfte an seinem Hemd, das ihm am Körper klebte. Die Hitze hatte sich im Lauf der Woche noch gesteigert, ebenso die Luftfeuchtigkeit, auch wenn an Regen nicht zu denken war. Die Boote waren überfüllt, kein Lüftchen wehte, alle Nerven lagen blank.
Brunetti schnaubte, ob entrüstet oder fassungslos, wusste er selbst nicht. »Soweit ich mich erinnere, verpassten die Mörder den letzten Zug nach Mailand; also nahmen sie am Piazzale Roma ein Taxi und zahlten an die fünfhundert Euro für die Fahrt. Dem Taxifahrer fiel der leere Koffer auf, und als er die Nachricht in der Zeitung sah, erinnerte er sich, wie nervös die zwei gewesen waren. Er alarmierte die Questura.« Brunetti rieb sich die Hände. »Und schon hatten wir sie.«
»Wie es weiterging, war nicht mehr zu lesen«, sagte Grif_foni. »Weißt du etwas darüber?«
»Nein. Da der Mord in Mailand verübt wurde, muss es dort auch zum Prozess gekommen sein.« Brunetti sah auf die Uhr. Es war kurz vor drei, Zeit für ihre Verabredung im Ospedale Fatebenefratelli. Eine Patientin im dortigen Hospiz hatte um ein Gespräch mit der Polizei gebeten.
Sie kannten ihren Namen und ihr Alter: Benedetta Toso, 38, Venezianerin, wohnhaft in Santa Croce. Mehr wussten sie nicht, doch da der Anruf aus dem Hospiz gekommen war, wollten sie den Besuch lieber nicht auf die lange Bank schieben. Der Commissario war tags zuvor von Cecilia Donato kontaktiert worden, Signora Tosos behandelnder Ärztin, die vor Jahren mit Brunettis Bruder Sergio, einem Röntgentechniker am Ospedale Civile, zusammengearbeitet hatte.
In ihrer Funktion als Chefärztin am Hospiz des Ospedale Fatebenefratelli hatte sie Brunetti zu sprechen verlangt. Der Mann in der Telefonzentrale bat sie zu warten, er müsse erst schauen, ob Commissario Brunetti im Hause sei; doch als sie hinzufügte, sie sei mit Brunettis Bruder Sergio befreundet, wurde ihr Anruf sofort durchgestellt.
Ohne näher auf die Umstände einzugehen, vermeldete die Ärztin, Signora Toso sei ihre Patientin und habe statt eines Priesters die Polizei sprechen wollen, am liebsten eine Polizistin.
Also wurde Grif_foni entsandt. Brunetti begleitete sie in der Hoffnung, Dottoressa Dona