Gewissenlose Gier
EINS
"Wesemann, wie würde dir ein kleiner Schleier gefallen?", fragt Karola. Sie gießt die Kräutertöpfe auf der Fensterbank.
"Wobei?" Wesemann sitzt am Küchentisch und reinigt mit einem Wattestäbchen und einem Ceran-Putzmittel seinen Handrekorder.
"Bei unserer Hochzeit natürlich."
"Ne, ist schön."
"Oder lieber ein Hütchen?"
"Hm."
"Für ein Diadem habe ich zu dünne Haare und ein Krönchen finde ich affig."
"Natürlich."
"Oder einfach eine Blume?"
"Blumen finde ich auch sehr schön."
"Du hast es einfach, du ziehst deinen schwarzen Anzug an und fertig ist es."
"Wo ist der Anzug überhaupt?"
"In der Reinigung."
"Du denkst auch an alles."
"Oder ein aufgestecktes Haarteil?"
Wesemann schaut von seinem Handy auf, muss erst einmal Hochzeit, schwarzen Anzug, Reinigung und Haarteil in die richtige Reihenfolge bringen.
"Warum siehst du mich so an? Soll ich mich für unsere Hochzeit vielleicht nicht hübsch machen?"
"Doch, ja, natürlich. Ich sehe dich nur immer gerne an."
"Wesemann, ich werd nicht schlau aus dir."
Wesemanns Handy klingelt. Baxmann am anderen Ende der unsichtbaren Leitung. Wesemann zögert, das Gespräch anzunehmen. Dann denkt er an die Hochzeit und sein Konto und ist auch schon am Apparat.
"Wir haben da gerade eine Meldung hereinbekommen."
"Ich habe mir den Fuß verstaucht, muss ihn hochlegen und mindestens acht Tage kühlen. Das sind Schmerzen."
"Sie sollen doch nicht laufen, nehmen Sie Ihr Auto. Aber schauen Sie vorher auf den Tankanzeiger, bevor Sie losfahren."
"Bei dem Spesensatz für meine Radioberichte muss ich immer auf dem letzten Tropfen fahren."
"Haha. Lustig. Aber im Stift Hollenbusch ist ein toter Mann gefunden worden. Im Rosenrondell des Kreuzgangs. Der Polizeifunk meldet eine unklare Todesursache."
"Im Rosenrondell?", fragt Wesemann, nur um etwas zu fragen.
"Wesemann, Sie haben doch einen grünen Daumen nach Ihren Erfahrungen mit den Kleingärtnern. Fahren Sie raus und ermitteln Sie. Aber piano, sehr piano - Stift Hollenbusch ist schließlich ein Damenstift."
Wesemann beendet das Gespräch, schaut Karola an, Karola schaut ihren Wesemann an, sie wartet ab. Schließlich hat er ihr einen entspannten Sonntagnachmittag versprochen. Wesemann wäre jetzt gerne einen Kopf größer als sie und irgendwie dominanter. Er muss es mit Diplomatie versuchen. "Eine Blume im Haar fände ich sehr schön, vielleicht eine ... mir fällt der Name nicht ein. Kann man aber auch trinken."
"Trinken? Vielleicht eine Malve?"
"Richtig. Malve passt. Ich muss los."
Karola seufzt. "Wesemann, wenn du nicht so eine Granate im Bett wärst, wüsste ich gar nicht, warum ich dich heiraten sollte."
Wesemanns Corsa müsste auch mal wieder durch die Waschstraße. Ob das auf Spesen geht? Er wird Baxmann fragen. Quatsch, er wird ihm die Quittung einfach zum Abzeichnen vorlegen. Da werden ganz neue Zeiten anbrechen in ihrem Arbeitsverhältnis. Nicht mehr Baxmann be ehlt und Wesemann folgt. Er wird sich online bei ver.di über die Mitbestimmung in einem privaten Radiosender informieren und auch über einen Mindestlohn für freie Mitarbeiter.
Gartenstraße, Süntelstraße, B 83. Wohngebiet, Gewerbegebiet, links die Weser, schöner Fluss. Wesemann dreht die Seitenscheibe herunter, schließt für einen Moment die Augen, atmet tief ein und aus. Im Augenblick ist wenig Verkehr, aber für selbst verschuldete Unfälle übernimmt seine Versicherung keine Kosten. Also Augen auf im Straßenverkehr. Es riecht. Rechts die Kläranlage, links geht's nach Wehrbergen. Dann viel Grün, direkt aus dem Boden oder an Stängeln und Ästen. Hollenbusch rechts ab. Bald kommt der wehrhafte breite Turm mit dem aufgesetzten putzigen Glockentürmchen ins Blickfeld. Wesemann versucht, auf direktem Weg ans Stift heranzufahren. Ein unauffälliger schwarzer Dienstwagen ve