Jeremias Voss und der Mörder im Schatten - Der siebte Fall
Kapitel 1
Der November ist wirklich kein Monat, um sich in Hamburg aufzuhalten, dachte Jeremias Voss, während er die Schepeler Straße entlangging. Die Temperatur lag nur wenig über null Grad, und es herrschte so dichter Nebel, dass man buchstäblich die Hand vor Augen nicht sehen konnte. Die Straßenlaternen bemühten sich vergeblich, den Dunst zu durchdringen. Wenn man nach oben sah, konnte man ein paar helle Flecken ausmachen, das war aber auch alles. Die Feuchtigkeit, die sich wie ein Samttuch auf der Haut anfühlte, drang durch jede Öffnung der Kleidung.
Voss hatte den Kragen seiner Wetterjacke hochgeschlagen und den Reißverschluss bis zum Mund geschlossen. Er fluchte, weil die Kapuze noch zu Hause in der Kommode lag. Aus Vergesslichkeit und Faulheit hatte er sie noch nicht wieder angeknöpft.
Er hielt sich dicht an den Häuserwänden, um eine Orientierung zu haben. Sich auf einem Kantstein den Fuß zu verstauchen, war das Letzte, was er gebrauchen konnte.
Er hatte das Gefühl, der Einzige zu sein, der bei diesem Mistwetter um elf Uhr abends unterwegs war. Nach seiner Schätzung musste er bald die Kreuzung mit der Thaderstraße erreichen. Er überlegte, ob er sich bei der Gaststätte Dr. Wolters, die auf der anderen Seite der Kreuzung lag, ein Taxi bestellen sollte. Er müsste irgendwo telefonieren, denn sein Smartphone lag zu Hause auf dem Schreibtisch.
Wenn Takamoto die moderne Kommunikation nicht so verachten würde, hätte er von dort aus telefoniert, doch der Japaner hatte weder Festnetzanschluss noch ein Handy in seinen Trainingsräumen. Wer etwas von dem Meister asiatischer Kampfsportarten wollte, musste sich persönlich zu ihm bemühen. Und selbst dann erhielt er nur eine Audienz, wenn er eine Empfehlung von einem ehemaligen oder derzeitigen Schüler vorlegen konnte. Voss suchte den Meister auf, so oft es sein Beruf zuließ - was für seine Bedürfnisse viel zu selten war.
In der Hoffnung, jeden Augenblick das Licht der Gastwirtschaft zu sehen, starrte Voss in die Nebelwand, aber er erkannte nicht den Hauch eines Lichtscheins. Dafür wurde seine Aufmerksamkeit durch Schritte abgelenkt, die von links auf dem Pflaster des Bürgersteigs klackten. Voss hätte schwören können, dass es sich um eine Frau handelte. Je näher die Person kam, desto deutlicher wurden die Geräusche. Jetzt war Voss sicher, dass es eine Frau war, die sich wie er einen Weg durch die neblige Brühe bahnte. Alle paar Sekunden verstummte das Klacken der Absätze. Offensichtlich musste die einsame Passantin sich immer wieder neu orientieren.
Was macht eine Frau bloß um diese Zeit und bei diesem Wetter in dieser Gegend?, fragte sich Voss.
Das Geräusch veränderte sich. Die Frau schien nun nicht mehr von links zu kommen, sondern direkt vor ihm zu gehen, und sie war schneller als er, denn das Geräusch wurde leiser. Nur geringfügig, aber merklich. Auch Voss beschleunigte das Tempo. Er war neugierig, welches weibliche Wesen da in der Dunkelheit bei null Meter Sicht vor ihm spazierte. Dem Geräusch nach musste die Frau etwa 50 Meter entfernt sein, obwohl es bei dem Wetter schwierig war, das genau einzuschätzen.
Lichter eines Autos erschienen als gelbe Flecken von rechts kommend. Das musste die Thaderstraße sein. Für sein Empfinden fuhr der Wagen bei den Sichtverhältnissen viel zu schnell. Die gelben Flecken verschwanden plötzlich, und Voss sah an ihrer Stelle einen Rotschimmer. Das Auto war in die Woltersallee eingebogen und fuhr in die gleiche Richtung, in die die Frau ging. Plötzlich quietschten Bremsen. Er hörte, wie eine Tür aufgestoßen wurde, und dann Geräusche, die darauf hindeuteten, dass eine oder zwei Personen aus dem Auto sprangen. Gleich darauf schrie die Frau. Voss vernahm ganz deutlich die Worte: »Was wollen Sie? Lassen Sie mich los ... Hilfe!«
Er reagierte sofort und sprintete los. Dass er selbst in Gefahr geraten könnte, daran dachte er nicht. Eine Frau brauchte