Kühn hat Hunger
2 - 45 Kilo
Am liebsten ist Sebastian der Geruch im Rosalita's. Dort versprüht man einen Duft, der ihn an etwas in seiner Kindheit erinnert. Es fällt ihm zwar nicht ein, was es ist, aber er saugt diesen blumigen Geruch ein und freut sich über die Aufmerksamkeit der Betreiber, die ihren Laden offenbar gut pflegen.
Anderswo stinkt ihm und den Kollegen eine Mischung aus Parfüm und Desinfektionsmitteln entgegen, die Sebastians Augen tränen lassen. Dann sieht er die Mädchen und die Gäste sekundenlang nur durch einen Schleier, muss zwinkern und sich mit dem Handrücken über die Augen fahren, bis er sich einen Überblick verschaffen kann.
Aber das kommt nur selten vor, denn sie gehen nicht oft in die Tabledance-Bars oder Nightclubs hinein. Keiner der Barmänner oder der Mädchen ruft gerne nach der Polizei, es ist nicht gut fürs Geschäft. Die Gäste werden davon nervös.
Aber manchmal muss die Polizei kommen. Ein amerikanischer Tourist weigert sich, die zweite Flasche Sekt zu bezahlen, weil er sie angeblich nicht bestellt habe. Oder ein Student randaliert, bereits vom Leben enttäuscht und nun wütend, weil er gerne mehr bekommen hätte als einen Tanz an seinem Platz. Gibt aber nicht mehr, das ist der Hauptbahnhof und nicht das Gewerbegebiet. Gewerbe gibt es dort, hier wird nur getanzt. Man kann wen kennenlernen, das geht die Wirte ja nichts an. Aber in der Bar wird nur getrunken und geglotzt. Maximal wird gefragt, und wenn es einer übertreibt, begleitet man ihn nach draußen.
Mancher landet dann direkt im Hauptbahnhof und taumelt betrunken, betrogen und empört durch die Halle. Wenn Sebastian im Dienst ist, lernt er Leute wie den Pharmavertreter aus Frankfurt kennen, der seine Uhr angeblich im Columbo gelassen hat. Die Uhr, die er als Bonus vor vier Jahren bekommen hat. Da war der Umsatz fantastisch und die Stimmung auch. Inzwischen ist beides im Keller. Sebastian mag den Mann nicht. Der zetert, dass sie ihm die Uhr geklaut haben. Kann stimmen oder nicht. Ob er eine Anzeige erstatten wolle, fragt Sebastian den Mann. Und der ruft, dass er sich die Uhr zurückhole. Sebastian bittet ihn, sich auszuweisen, aber der Mann will nicht, also muss er mit auf die Wache.
Dort geht das Theater weiter, und Kollege Klaus setzt den Mann grob auf einen Stuhl. Dabei schlägt der mit dem Hinterkopf gegen die Wand und will erst einmal Anzeige wegen Körperverletzung erstatten. Bei wem er das könne? Und er wolle seine Uhr zurück. Man mache vermutlich gemeinsame Sache mit den Kriminellen aus diesem Columbo-Puff, und er werde damit zur Zeitung gehen. Zuerst geht er aber in ein Einzelzimmer zur Ausnüchterung. Obwohl er gar nicht so betrunken ist, dass es sein müsste. Da hat Sebastian schon ganz andere Gestalten erlebt. Aber Klaus und Erik haben das so beschlossen, damit der Mann die Klappe hält. Und das macht er auch irgendwann, und zweieinhalb Stunden später darf er wieder raus. Die Beamten legen ihm nahe, die Anzeige wegen des Diebstahls seiner Uhr am folgenden Tag zu erstatten, wenn er wieder klar im Kopf sei. Er solle erst einmal im Hotel nachsehen, ob die Uhr nicht vielleicht dort auf dem Waschbecken liege.
Und genau dieser Mann begegnet Sebastian nur eine Viertelstunde später wieder. Allerdings hat er nun eine blutige Nase und sitzt beim Seiteneingang des Bahnhofs auf dem Gehweg. Sebastian und seine Kollegin Maxine helfen ihm auf die Beine, und er will gleich wieder über die Straße und rein ins Columbo, weil er nicht genug hat. Er habe nämlich soeben festgestellt, dass der Mann an der Bar seine Uhr am Arm trage, seine Uhr, seine Bonus-Uhr. Sebastian weiß jetzt auch nicht weiter. Seine Zuständigkeit endet ja an diesem Bürgersteig. Die Wache am Hauptbahnhof ist für die Clubs in der Nachbarschaft eigentlich nicht zuständig. Aber der Mann eiert schon wieder los, und er sieht aus, als würde er hinter dem Eingang des Columbo gleich die Tr