Letzter Applaus
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Auf diesen Einsatz hätte Gasperlmaier gern verzichtet. Zum einen, weil der ganze Wirbel ausgerechnet am Tag vor dem Beginn des Narzissenfestes stattfinden musste. Und zum anderen, weil er völlig gegen seine eigene Überzeugung handeln musste.
Es war wegen dem Trachtenparadies . Nicht, dass er an und für sich etwas gegen Trachten gehabt hätte, ganz im Gegenteil. Er trug seine Lederhose seit Jahrzehnten mit Stolz und Selbstverständlichkeit, wie auch seine Frau ihrer Arbeit als frisch gebackene Direktorin der Altausseer Volksschule gewöhnlich im Dirndl nachging. Und jedes zweite Geschäft in Bad Aussee war ohnehin ein Trachtengeschäft, eine Lederhosenmacherei oder eine Stoffdruckerei. Daran lag es also nicht. Es lag nur an dem besonderen Trachtengeschäft, das heute eröffnet werden sollte. Das Trachtenparadies war nämlich kein alteingesessenes Geschäft, sondern eine Filiale einer Textilkette, die sich bereits über fast ganz Österreich und Bayern verbreitet hatte und Billigtrachten völlig unklarer Herkunft verkaufte. Gemunkelt wurde sogar, dass die angebotene Ware in Indien und Bangladesch gefertigt wurde. Aus billigem Ziegenleder sollten die Lederhosen sein, hörte man. Gasperlmaier hatte nichts, rein gar nichts, gegen die Inder an sich, und gegen die Ziegen schon gar nicht, aber dass im Ausseerland Lederhosen und Dirndl verkauft würden, die irgendeine bitterarme Näherin in einer Bruchbude am Brahmaputra zusammengestichelt hatte, das ließ ihn erschauern.
Und so hatte es natürlich, nachdem ruchbar geworden war, dass das Trachtenparadies eine Filiale in Bad Aussee eröffnen wollte, wütende Proteste aller Art gegeben. Ein Boykottaufruf in der Alpenpost war noch das Harmloseste gewesen. Etwas deutlicher war der Stammtisch geworden, sogar sein ehemaliger Postenkommandant, der Kahlß Friedrich. Der hatte hinter seinem Bier etwas von "Anzünden" und "Scheiben einschlagen" gemurmelt. Und darauf hingewiesen, dass er jetzt schließlich Zivilist sei und keine Uniform mehr trage, und als Pensionist könne er es sich jederzeit leisten, zivilen Ungehorsam in Betracht zu ziehen.
Warum er denn plötzlich so radikal sei, hatte Gasperlmaier gefragt. Er habe doch sonst nichts anderes im Sinn gehabt als seine Ruhe. "Eben!", hatte der Friedrich gerufen und mit der flachen Hand auf den Tisch geschlagen. "Verstehst du denn nicht, dass es mit der Ruhe dann vorbei ist, wenn sich sogar hier die Großkonzerne mit ihrem Plastikgewand einnisten? Dann ist nämlich Feuer am Dach, wenn unsere Trachtenschneider in den Konkurs müssen!" So weit hatte Gasperlmaier selbst noch gar nicht gedacht. "Und wenn alles zugrunde geht, sperren auch noch die letzten Wirtshäuser zu!", hatte der Friedrich gewettert. Damit hatte er Gasperlmaier völlig auf seine Seite gezogen. Er nickte ergeben.
Kurzum, für den Termin der Eröffnung des neuen Geschäfts in der Ischler Straße war gleichzeitig eine Protestkundgebung ebendort anberaumt worden. Die Straße hatte wegen des Menschenauflaufs vor dem Geschäftslokal bereits gesperrt werden müssen, und Gasperlmaier begab sich, zusammen mit der Manuela Reitmair, seiner Kollegin vom Posten in Altaussee, zum Ort des Geschehens, wo sie bereits von zwei Kollegen vom Bad Ausseer Polizeiposten erwarten wurden. "Dank schön, für die Verstärkung." Der Grill Peter, einer der Kollegen, schüttelte ihnen die Hand. "Bis jetzt ist alles ruhig geblieben!" Gasperlmaier sondierte die Situation. Auf der einen Seite die Auslagenscheiben des Trachtenparadieses , mit großen Plakaten, die die heutige Neueröffnung in neonfarbenen Buchstaben auf schwarzem Grund ankündigten. Prosecco sollte es geben. Und Gutscheine sollten verschenkt und großzügige Rabatte gewährt werden. Gasperlmaier seufzte.
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite hatte sich bereits eine beträchtliche Anzahl Einheimischer versammelt, fast alle, wie er feststellte, in der Tracht und mit finsteren Gesi