Mission Munroe. Die Spezialistin
Kapitel 1
Dschibuti, Dschibuti
Sie saß auf dem Dach und wartete, folgte mit den Augen dem Verlauf der Straße, ein Bein über der Dachkante hängend, das andere angezogen, sodass sie das Kinn auf das Knie stützen konnte, und lauschte den leisen, stetig näher kommenden Geräuschen des Kletterers.
Hier, vier Stockwerke über der Straße, war der Gestank nach fauligem Müll etwas weniger durchdringend, war die Luft ein wenig kühler, und wenn sie aufstand und sich streckte, dann konnte sie hinter einer baumbestandenen Fläche und ein paar staubigen, flachen Häusern sogar den Hafen sehen, der sich wie ein kaum sichtbarer Farbfleck vom dahinter liegenden Ozean abhob. Das war Dschibuti. Schmutzig. Ruhig. Korrupt. Eine eigene Welt, weit weg von den Regenwäldern und der Feuchtigkeit und der Vertrautheit Äquatorialafrikas, dem Ort ihrer Geburt, und doch ganz ähnlich. Ein stecknadelkopfgroßer Fleck auf der Landkarte zwischen Somalia und Äthiopien, ein Wüstenstaat am Nadelöhr zwischen dem Roten Meer und dem Golf von Aden mit weniger als einer Million Einwohnern. Und die Hälfte davon lebte hier, in der Hauptstadt.
Von unten drang Geplapper nach oben. Ein paar Frauen in knöchellangen Gewändern, die Köpfe mit bunten Tüchern verhüllt und mit großen Bündeln bepackt, gingen vorbei. Sie nahm ein scharrendes Geräusch in ihrem Rücken wahr. Der Kletterer hatte sich über die Dachkante gezogen, war aufgestanden und hatte sich die staubigen Hände an der Hose abgeklopft. Jetzt kam er langsam, fast bedächtig, auf sie zu.
Vanessa Michael Munroe drehte sich nicht um. Machte keine Anstalten, seine Anwesenheit zur Kenntnis zu nehmen, als er neben ihr stehen blieb und auf die Straße hinunterblickte. Ignorierte ihn auch dann noch, als er sich ein, zwei Meter neben ihr auf das Dach setzte und, begleitet von einem zufriedenen Seufzer, die Beine über die Seite schwang, sich zurücklehnte und die Umgebung betrachtete.
Es waren hauptsächlich ein- bis zweistöckige Gebäude, überwiegend Wohnhäuser, die sich in beide Richtungen dicht an dicht die Straße entlangzogen, manche mit ummauerten Innenhöfen, die mit Müll übersät waren, und manche nicht.
"Schöne Aussicht", sagte Leo. "Und die Luft ist auch besser. Es stinkt nicht so."
Sie gab keine Antwort und ignorierte ihn weiterhin. Er hätte sich die mühsame Kletterei sparen können und ihr das zähe Geplauder nicht aufdrängen müssen, wenn er einfach nur ihre Rückkehr abgewartet hätte. Aber er war zu ihr gekommen. Indem er ihr demonstrierte, dass er ihre Gewohnheiten kannte und jederzeit in der Lage war, sie zu durchbrechen, markierte er sein Territorium. Sie unternahm nichts, um diese Illusion zu zerstören, genau wie sie ihn in dem Glauben ließ, dass er wusste, wer sie war, woher sie gekommen war und weshalb sie hier war.
Schweigend saßen sie auf dem Dach. Die Sonne ging langsam unter, und die abendliche Brise sorgte für Abkühlung, trotzdem rann ihr der Schweiß den Rücken hinab. Ihr T-Shirt war klatschnass. Die Hitze machte ihr weniger aus als ihm, darum wartete sie so lange, bis er die Situation und die ausgedehnte Stille nicht mehr länger ertrug und sagte: "Wir gehen heute Nacht um zwei Uhr an Bord."
Sein Englisch hatte einen harten Akzent, aber dass er sie in ihrer Sprache angesprochen hatte und nicht, wie sonst üblich auf Französisch, war wieder nur eine seiner sinnlosen Provokationen.
Sie erwiderte: "Ich bin immer noch nicht interessiert."
Er nickte, als hätte ihre Weigerung ihn nachdenklich gemacht, stellte sich dann an die Dachkante, sodass die Zehen überragten, und blickte nach unten. Wischte sich erneut die Hände an der Hose ab und trat einen Schritt zurück. "Es ist deine Entscheidung", sagte er. "Aber wenn du nicht mitkommst, dann will ich, dass du noch heute Abend verschwindest."
Das Kinn immer noch auf das Knie gestützt, den Blick auf die schmutzigen Gassen und die Dächer mit den Wäscheleinen und die im Wind fl