Mordtage
1
Da saßen wir nun also im Speisesaal von Charlies Fluchtburg auf seiner Insel, diesem weitläufigen Gebäude mit der beeindruckenden Aussicht auf die wilde Küste von Wales. Fünf Freunde, die sich all die Jahre über aus dem Weg gegangen waren in der Hoffnung, einander nie wiederzusehen.
Doch natürlich hätten wir es besser wissen müssen. Die Gespenster der Vergangenheit würden sich nicht abschütteln lassen und uns immer und ewig heimsuchen.
Es war ein merkwürdiges Gefühl gewesen, die anderen nach so vielen Jahren wiederzutreffen. Und noch merkwürdiger war, dass keiner von uns sich allzu sehr verändert hatte, weder in seinem Aussehen noch in seinen kleinen Eigenheiten. Marla sah noch immer unglaublich scharf aus für eine Frau Anfang vierzig. Sie hatte noch immer dichtes, pechschwarzes Haar, das auf natürliche Weise gelockt war und das sie dauernd glattstrich; und sie hatte noch immer die verführerischsten braunen Augen, die ich jemals gesehen habe. Seltsamerweise hatte sie mich damals als Konkurrentin betrachtet, was wohl auch der Grund dafür war, warum wir nie besonders gut miteinander ausgekommen waren, aber ich habe nie begriffen, warum sie mich überhaupt so sah. Ich bin nicht übertrieben selbstkritisch, aber rein äußerlich hat sie schon immer in einer ganz anderen Liga gespielt.
Und dann war da Luke - immer noch der große, raue, aber herzliche und hübsche Rugbyspieler, in dessen naturblondem Haar man keine grauen Strähnen entdecken konnte, fast als habe ihm der Stress der damaligen Ereignisse nie wirklich zu schaffen gemacht. Und Louise, die jetzt viel ernster und distanzierter wirkte; sie kleidete sich konservativ und hatte ihr aschblondes Haar zu einem strengen Knoten gebunden. Obwohl sie sich bemühte, freundlich zu bleiben, gelang es ihr nicht ganz, ihren Widerwillen, hier zu sein, zu verbergen. Und da war ich, die arme, hagere Karen, von Sorgen zermürbt und für immer gezeichnet von der Tragödie, die sie durchgemacht hatte, auch wenn sie das Möglichste tat, sich nichts davon anmerken zu lassen.
Schließlich Charlie. Der einfach nur Charlie war wie eh und je.
Er stand am Kopfende des Tisches, jeder Zoll ein bedeutender Politiker, als habe er sich im Parlament gerade zu Wort gemeldet, um eine seiner leidenschaftlichen Reden zu halten. Er war immer noch hübsch, auf eine weiche, jungenhafte Art, doch die Neigung zur Fettleibigkeit, gegen die er seit der Universität ankämpfte, würde gewinnen. Er war bleich und schien nicht gut in Form zu sein, aber das überraschte mich kaum. Schließlich war er es, der von uns allen vermutlich am meisten zu verlieren hatte.
"Wir können nicht die ganze Nacht auf Crispin warten, also ist es wohl am besten, wenn wir anfangen", sagte er. "Ich danke euch dafür, dass ihr gekommen seid. Ich weiß das wirklich zu schätzen."
"Wir hatten ja wohl keine andere Wahl, oder?", erwiderte Marla, die ihr schwarzes Haar in einer Weise zurückwarf, die jeder von uns einfach mitbekommen musste. In ihrer Stimme klang eine gewisse Verärgerung durch, die, wie ich mich erinnerte, oft darin gelegen hatte; es war, als stelle die ganze Welt eine einzige Zumutung für sie dar.
"Stimmt", sagte Charlie schlicht. "Keiner von uns hatte eine andere Wahl. Wir müssen diese Sache klären. Und zwar jetzt und endgültig."
Ich war als Letzte von uns fünfen angekommen, und in den zwei Stunden, die seither vergangen waren, hatten wir, wie in den Jahren zuvor, nach besten Kräften versucht, uns aus dem Weg zu gehen. Irgendwann waren wir doch gezwungen, die Anwesenheit der anderen zur Kenntnis zu nehmen, und hatten uns auf verlegenen Small Talk beschränkt, wobei jeder das naheliegendste Thema vermied, als sei es giftig - was es in gewisser Weise natürlich auch war.
Charlie hatte alles getan, damit jeder sich wohlfühlte, hatte Drinks ausgeschenkt und jeden gefragt, was er all die Jahre so getrieben hatte, obwohl er das sicher bereits in allen E