Pater Noster
DONNERSTAG
D eborah stand vor dem Spiegel und sah, wie ihre Mutter hinter ihr in der Tür zum Badezimmer auftauchte.
"Mama, brauchst du am Wochenende dein Auto?" Sie war noch im Bademantel und rubbelte die blonden Haare mit einem Handtuch trocken.
"Am Wochenende? Kind, das weiß ich doch jetzt noch nicht!"
Marion Peters trat näher und sah sie fragend im Spiegel an. "Wofür brauchst du es denn?"
"Weißt du nicht mehr? Ich bekomme heute die Schlüssel für meine Wohnung", erwiderte Deborah. "Ich wollte am Samstag zu IKEA fahren und Möbel kaufen."
"Möbel kaufen?" Das Gesicht der Mutter erhellte sich. "Soll ich mitkommen?"
"Mama, ich bin fünfundzwanzig, ich bin kein Baby mehr", wimmelte Deborah sie ab. Ihre Mutter meinte es gut. Aber im Bemühen, ihr zu helfen, neigte sie dazu, alles selbst in die Hand zu nehmen. Für Deborah war es das erste Mal, dass sie eine Wohnung bezog, die sie ganz für sich hatte. Schon seit Tagen richtete sie in Gedanken das Zimmer ein und freute sich darauf, Bett, Tisch und Stühle auszusuchen. Womöglich stieß sie ihre Mutter mit ihrer Ablehnung vor den Kopf, das täte ihr zwar leid, aber es änderte nichts an ihrer Entscheidung.
" Trinkst du noch einen Kaffee mit mir, Debbie?" Ihre Mutter ließ sich keine Verstimmung anmerken. Sie war schon auf dem Sprung zur Arbeit. Schick gekleidet in ein helles Kostüm, die dunkelblonden Haare kurz geschnitten, sah sie deutlich jünger aus als Ende vierzig. Deborah lächelte ihr im Spiegel zu.
"Ja, Mama, gerne. Ich komme gleich runter!"
Während ihre Mutter die Treppe hinunterging, inspizierte Deborah kritisch ihr Gesicht: die Nase etwas zu groß, der Mund ein wenig zu breit. An den Zähnen hätte ein Kieferorthopäde heute gut verdient, aber als Teenager hatte sie keine Zahnspange tragen wollen. Wirklich zufrieden war sie eigentlich nur mit ihren Augen. Wenn die Beleuchtung stimmte, waren sie von einem erstaunlichen Grün, so wie jetzt, unter der hellen Lampe am Spiegel. Ihre blonden Wimpern umgaben die Iris wie ein goldener Kranz, den Deborah hasste, denn ohne Wimperntusche waren sie praktisch unsichtbar.
Sie streckte sich selbst die Zunge heraus und folgte ihrer Mutter in die Küche.
Die goss ihr gerade eine Tasse Kaffee ein und stellte die offene Milchpackung daneben.
"Ich muss gleich los", sagte sie und sah auf ihre Armbanduhr. "Wenn ich dich mitnehmen soll, musst du dich jetzt sehr beeilen."
"Danke, Mama, heute nicht. Ich wollte die Wohnungsschlüssel abholen, bevor ich zur Arbeit fahre. Dann kann ich heute Nachmittag die ersten Sachen von Stefan hinbringen."
"Ach so." Ihre Mutter sah sie aufmerksam an. "Hast du etwas von ihm gehört? Wie geht es ihm?"
Deborah schüttelte den Kopf. "Ich habe keine Ahnung."
"Schade. Du weißt, ich mochte ihn immer sehr gern." Marion Peters stand auf.
Deborah holte tief Luft. Eine scharfe Erwiderung lag ihr auf der Zunge.
"Aber es ist natürlich deine Entscheidung", setzte ihre Mutter schnell hinzu. Sie drückte Deborah zum Abschied einen Kuss auf die Wange, dann war sie weg und die Tür fiel hinter ihr ins Schloss.
Deborah blickte aus dem Fenster und sah ihrer Mutter dabei zu, wie sie zwei Stockwerke tiefer das Haus verließ und in ihren Wagen stieg. Erst als der silberne Renault um die Straßenecke verschwunden war, stieß sie sich vom Fenster ab und goss sich noch eine Tasse Kaffee ein. Gedankenverloren sah sie zu, wie sich die Milch in einer Wolke im Schwarz verteilte und goldbraune Schlieren entstanden. Sie seufzte.
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