Tickende Zeitbombe
Kapitel 1
Die Musik dröhnte laut durch das Studio. Sämtliche Lampen waren eingeschaltet, um das trübe Tageslicht auszusperren, das den Oktobertag beherrschte. Alle Geräte in der Ecke, die "Functional-Area" genannt wurde, waren besetzt. Die Teilnehmer warteten auf seinen Pfiff zum Start, um mit ihrer Übung beginnen zu können. Das Synrgie360-Trainingsprogramm gefiel Dierk von Westernhagen am besten. Dort konnte er mit wenig Aufwand seine Sportler in den Wahnsinn treiben. Egal wie einfach die Übungen aussahen - sobald er das Tempo vorgab, wurden sie höllisch anstrengend. "Synrgie" bedeutete ein "sich gegenseitiges Anspornen", was damit erzielt wurde, dass die unterschiedlichen Geräte dicht beieinanderstanden. Jeder konnte während seiner eigenen Übung dem Nebenmann oder der Nebenfrau dabei zusehen, was als Nächstes auf ihn zukam. Wie üblich wirkte dabei niemand wirklich angespornt, sondern viel mehr gequält. Eine Freude, diese müden Geister in Schwung zu bringen.
Dierk von Westernhagen hatte schon immer ein Ziel vor Augen gehabt. Er wollte den heutigen Opfern des Wohlstandes die Bequemlichkeit aus den Körpern treiben. Von wegen nach Feierabend auf dem Sofa liegen und der Faulheit frönen. Das konnte der Mensch noch früh genug tun, nämlich dann, wenn er auf den Tod wartete. Aber in jungen Jahren seine körperlichen Ressourcen zugunsten von Bier oder Chips oder Schokolade verschenken? Das war Frevel.
Also drillte er seine Gruppe, die aus Männern und Frauen im Alter zwischen 30 und 60 bestand, bis sie hochrote Köpfe bekam und um Gnade winselte.
Dierks zufriedenes Grinsen wurde jedoch von plötzlich eintretender Dunkelheit unterbrochen. Auch die laute Musik verstummte.
"Was ist jetzt schon wieder los?", rief er empört. Ich dachte, der Hausmeister hätte den Schaden repariert."
"Das hat er auch", kam die Antwort prompt.
Dierk schaute sich verwirrt um und entdeckte jemanden in einem Blaumann, der Arbeitskluft des Hausmeisters, im schwachen Schein der Notbeleuchtung.
"Und warum funktioniert es nicht?"
"Ich weiß es nicht. Muss erst mal nachschauen."
"Vielleicht sollte ich das mal machen", spottete Dierk. "Könnte sein, dass ich es besser hinkriege."
"Nee, lass mal lieber! Du würdest dort oben nichts finden. Ich habe den Beruf des Elektrikers nicht umsonst gelernt."
"Hoffentlich."
Hinter sich hörte Dierk seine Synrgie-Gruppe erleichtert verschnaufen. Sie alle hatten keine Sekunde gezögert und die Störung zu ihren Gunsten ausgenutzt. Erschöpft legten sie sich auf die Matten, die auf dem Boden verteilt waren und tuschelten.
Der Fitnesstrainer verließ zusammen mit dem Hausmeister die Functional-Area. Sie traten hinaus ins Treppenhaus, das ebenfalls nur durch Sicherheitsleuchten notdürftig erhellt wurde. Die Decke zierten quadratische Gipsplatten. Dierk reckte sich und versuchte, mit der Hand eine dieser Platten zu erreichen. Trotz seiner Größe von einsfünfundneunzig gelangte er nicht heran. Mit einem schiefen Grinsen sperrte der Hausmeister seine Kammer hinter einer verspiegelten Tür auf, entnahm eine Leiter und stellte sie auf. "Du bist vielleicht größer als ich", murmelte er, "aber so groß nun auch wieder nicht."
Dierk lachte nur über diese Anspielung.
Oben angekommen klappte der Mann im Blaumann eine der Gipsplatten nach unten. Vor ihm offenbarte sich ein Meer aus Kabeln, Drähten, Leitungen, Litzen, Schraubklemmen, Ösen und vielem mehr, was Dierk nicht durchblickte.
"Wenn ich das so sehe, muss ich dir recht geben. Von dem Chaos lasse ich lieber die Finger."
Vom Hausmeister war nur ein Murmeln zu hören, weil er in den Kabelsalat hineinsprach. Mit beiden A