Tod auf der Rumregatta
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Kriminalkommissarin Helene Christ trat hinaus in die Morgenluft und schloss die Tür des Notarztwagens hinter sich. Langsam ließ sie ihren Blick über den Hafen wandern und atmete tief ein. Oben hinter dem Wasserturm am anderen Fördeufer zeigte sich das erste Licht der aufgehenden Sonne.
Erst wenige Schiffe waren im Hafen. Nur einen einzigen großen Zweimaster entdeckte sie. Er lag auf der anderen Seite der Innenförde vor den Silos am Ballastkai, beide Masten gleich hoch und eine Gaffel am Großmast - eine Brigg. Die Flagge am Heck war nicht zu erkennen. Komisch, dass die nicht auf dieser Seite festgemacht hatten. Vielleicht warteten sie, bis ihnen hier ein Platz zugewiesen wurde. Dort drüben jedenfalls wäre kaum mit vielen Besuchern zu rechnen, die das Schiff besichtigen wollten.
Hier auf der Westseite lagen bisher nur ein paar kleinere Boote, Einmaster, nicht länger als fünfzehn, zwanzig Meter. Die meisten der größeren Schiffe würden erst gegen Abend aus dem dänischen Sonderburg eintreffen, wo sie sich nach guter Tradition am Himmelfahrtstag sammelten, um heute, am Freitag, im Rahmen einer Auftaktregatta nach Flensburg zu fahren. Schon am Nachmittag würde es hier anders aussehen. Und wenn dann später die vielen Masten der dicht an dicht liegenden Segler in den Himmel ragten, wäre kein freier Blick auf Flensburgs Ostufer mehr möglich, das wusste Helene.
Ihr Blick fiel auf die Seeschwalbe, die etwa hundert Meter entfernt festgemacht hatte. Ein flaues Gefühl breitete sich sofort in ihrem Magen aus.
Der Streit mit Simon.
Warum nur wollte er ihre Haltung nicht begreifen? Oder lag sie vielleicht selbst falsch, war uneinsichtig, starrköpfig?
Verdammt, sie wollte keine Konfrontation, hasste die miese Stimmung zwischen ihnen. Wie gern würde sie endlich mit ihm zusammenziehen, ja, aber bestimmt nicht in dieses Haus. Nein, das nicht.
Sie presste die Lippen zusammen und drehte sich um. Ihr Blick fiel auf das rot-weiße Absperrband, das den Tatort weiträumig umspannte und leicht in der Morgenbrise flatterte. Mehrere, in weiße Schutzanzüge gekleidete Spurensicherer liefen herum, knieten auf dem Boden und nahmen Proben. Immer wieder flammte grell das Blitzlicht auf, wenn der Fotograf seine Tatortbilder schoss.
Vor einer halben Stunde war sie eingetroffen - kein weiter Weg hierher von ihrer Wohnung in der Schloßstraße über der Stadt auf der westlichen Höhe. Ihr Wohnzimmerfenster konnte sie von hier aus sehen. Nachdem der Anruf des wachhabenden Kollegen sie aus dem Schlaf geholt hatte, war die junge Kommissarin rasch unter die Dusche gesprungen, hatte sich die Zähne geputzt, ihren Jogginganzug angezogen und war losgelaufen. Sie hatte sogar darauf verzichtet, ihre Haare zu föhnen. Die wilde hellblonde Mähne war noch feucht gewesen, als sie hier angekommen war - und dennoch war Helene von Edgar Schimmel, der in seinem grauen, zerknitterten Anzug bereits am Tatort herumlief, mit einem spöttischen: "Einen taufrischen guten Morgen, Miss Marple", in Empfang genommen worden.
"Wieso bist du denn schon hier?", hatte sie missmutig gefragt. Zu neckischem Geplänkel war sie noch nicht aufgelegt gewesen, sie lechzte nach einem Kaffee.
"War noch im Büro, als der Anruf kam", hatte er kurz angebunden erklärt. "Hab ein paar alte Akten bearbeitet."
Im Büro, aha. Helene hatte keine Lust gehabt, weiter nachzuhaken. Das tat man beim Grauen besser nicht. Wenn er überhaupt so etwas wie ein Privatleben hatte, dann nahm es ihn jedenfalls nicht übermäßig in Anspruch. Und er sprach nicht darüber. Nie. Also war sie erst einmal in den Krankenwagen gestiegen und hatte versucht, den Zeugen zu vernehmen - vergeblich.
Rasch ging sie nun die paar Schritte hinüber zu Schimmel und dem Gerichtsmediziner. Die beiden hockten vor der Leiche. "Moin, Moin, Dr. Asmussen! Also, können Sie schon etwas sagen?", fragte sie und sah hinab