Wer wird denn da gleich sterben? Drei Krimis in einem eBook
Rolf Bauer. Der Mann, der ihr nicht mehr aus dem Kopf ging. Seine Haare an den Schläfen immer etwas zu lang und seit Jahren grau, das dunkle Deckhaar aus der Stirn gegeit. Unrasiert, aber nicht ungepflegt. Weißes Hemd, Manschettenknöpfe, Sakko. Durchdringende helle Augen, sein prüfender Blick, spitze Lippen, Finger, die alles, was sie kriegen können, in den Mund schieben. Unersättlich. Maxie angelte sich einen Lippenstift. Sie verteilte die Farbe auf der vollen Unterlippe und presste die Oberlippe darauf. Mit dem Finger zog sie den Amorbogen nach. Ihre Augen wanderten dabei zwischen Rückspiegel und Unfallstelle hin und her. Nirgendwo ein weißes Hemd zu sehen. Was hatte sie auch erwartet?
Maxie erkannte den hochgewachsenen Ortsvorsteher, daneben ihren Nachbarn. Der eine sah durch einen Feldstecher und reichte ihn nun dem anderen, der sich strecken musste, um einen Blick in die Grube werfen zu können.
Auch Juliane war da. Sie ist wie Maxie in Rothard aufgewachsen. Die meiste Zeit ihres Lebens haben die beiden zusammen verbracht, ob sie nun wollten oder nicht. Als Juliane arbeitslos wurde, hat Maxie ihr einen Job als Aushilfskellnerin in der Rothardhöhe angeboten. Die Zusammenarbeit zwischen den beiden Frauen war nicht immer einfach.
Juliane warf ihre strohgelbe Mähne in den Nacken und legte die Hand auf die Hüfte, als probte sie eine Pose. Grußlos taxierte Maxie ihre Freundin. Überall Schaulustige. Ganz Rothard war auf den Beinen. Waren Erwins Rinder ausgebüchst? Gab es ein neues technisches Ackergerät zu bestaunen? Oder hatte die Firma Eckstein über Nacht einen neuen Krater gerissen? Maxie konnte nichts erkennen. Die Gaffer versperrten ihr den Weg. Sie sah auf die Uhr. Ihr Zeitplan geriet durcheinander. Sie konnte es sich nicht leisten, hier herumzutrödeln. Energisch wendete Maxie ihren schwerfälligen Kastenwagen, ruderte mit dem Lenkrad rechts, links, wieder rechts über Fahrbahnränder und Schlaglöcher, als säße sie in einem schwankenden Kahn. Sie ärgerte sich über ihr ungelenkes Wendemanöver.
Maxie stieß einen Schrei aus und trat auf die Bremse. Beinahe hätte sie Martin über den Haufen gefahren. Er hob die Arme hoch und schimpfte.
»Martin!«, herrschte sie den schlaksigen Mann mit den braunen schulterlangen Haaren an. »Du stehst mitten auf der Straße!« Typisch, Martin!
Martin zeigte seine fast perfekte Zahnreihe, nur ein Eckzahn stand immer noch etwas schief. »Du meinst, ich hätte lieber den Hochstand nehmen sollen, wie damals.«
»Lass die alten Kamellen!« Maxie hatte nun wirklich keine Zeit, in Erinnerungen zu schwelgen. »Was ist denn hier eigentlich los?«
Martin hob die Schultern und sagte: »In der Sandgrube ist irgendetwas passiert.«
Maxie hakte nicht weiter nach. »Ich muss los!«
»Sehen wir uns die Tage?«
»Komm vorbei, Herr Landschaftsarchitekt. Ich habe eine Menge Arbeit für dich.«
Martins dunkle Augen verfolgten jede ihrer Bewegungen.
»Es ist spät.«
Ohne Martin noch einmal anzusehen, ließ sie die Kupplung kommen. Sie fuhr ein Stück geradeaus und bog dann scharf rechts in einen Feldweg ein. Die Räder rutschten weg, sie nahm den Fuß vom Gas, der Wagen hoppelte über ein Schlagloch. Dann trat sie das Pedal durch.
Die schmale Straße grub sich durch Senken, stieg an, fiel wieder ab. Schnell konnte sie nicht fahren. Irgendwann teilten sich die Baumreihen und gaben den Blick ins Tal frei. Nichts erinnerte mehr an das Unglück in der Grube. Alles war wie immer. Rothard lag Maxie zu Füßen. Bevor sie ins Dorf hinunterfuhr, streifte ihr Blick den Waldrand. Das Rothardplateau war umgeben von Bäumen, schlank und hochgewachsen, die wie Wachsoldaten das Dorf umringten. Wenn man nichts in Rothard verloren hatte, verirrte man sich auch nicht hierher. Es gab eine Straße in den Ort hinein und wieder hinaus. Eine Sackgasse. Das Ende der Welt. Und zugleich exklusiv. Keine Bundesstraße, die sich fadengerade durchs