Fettnäpfchenführer Barcelona
Erste Eindrücke
Es ist immer alles anders, als man denkt
Gerade 19 geworden, kam ich 1986 zum ersten Mal nach Barcelona. Ich hatte von anarchistischen Experimenten vor dem Bürgerkrieg gelesen, Enzensbergers Biographie des Anarchisten Buenaventura Durruti beispielsweise. Ich wollte die Schauplätze erkunden und sehen, ob etwas von den utopischen Ideen übrig geblieben war. Allerdings hatte ich kaum eine Ahnung, was mich erwarten würde. Vom Internet sprachen damals nicht mal die Science-Fiction-Romane, und mehr als eine Handvoll Fotos in Büchern der heimischen Stadtbibliothek hatte ich nicht zu sehen bekommen.
Der erste Eindruck war ein Schock. Barcelona war grau und düster, die Straßen schmutzig, die Gebäude verwahrlost. Die Stadt erinnerte an einen vollen Aschenbecher und roch auch so ähnlich. Ich stieg in einer heruntergekommenen Pension im Raval ab, ein paar hundert Meter westlich der Rambles. Im Lonely Planet stand damals noch zu lesen, der Raval sei die einzige Gegend in Barcelona, die man unbedingt meiden sollte. Das Viertel glich einem Ghetto, es war dreckig und arm, voll von Junkies und 70-jährigen Prostituierten, die sich mit silbern glitzerndem Lippenstift schminkten. Mein Zimmer kostete 700 Peseten, also etwa zehn damals noch D-Mark. Man kann sich angesichts des Preises und der gediegenen Umgebung vorstellen, wie meine Bleibe aussah. Der Putz fiel von den Wänden, Kakerlaken rauschten über den halb zertrümmerten Steinboden und das Bett bog sich unter meiner geringen Last wie eine Hängematte. Ich fand die Dekadenz nicht unsympathisch, doch eine Hafenstadt unter der Sonne des Mittelmeers hatte ich mir durchaus fröhlicher vorgestellt.
Und was hat sich seitdem getan?
Seit dem Ende der Franco-Diktatur und ganz besonders seit der Austragung der Olympischen Spiele 1992 hat sich vieles, ja beinahe alles verändert. Barcelona öffnete sich wieder dem Meer, restaurierte die bräunlichen Fassaden der Gebäude aller Stilepochen und brachte Licht in die dunklen Gassen. Natürlich geht solch ein Erneuerungsprozess niemals ohne Opfer vor sich. Ärmere Bevölkerungsschichten wurden vertrieben, schöne alte Gebäude abgerissen, Schneisen ins Häusermeer geschlagen. Für die urbane Runderneuerung anlässlich der Olympiade erschien zeitweise die Diktatur wiedererrichtet, jeglicher Widerstand wurde gebrochen und nicht genehme Charaktere ausgeschaltet. Unter der panikartigen Angst, die Untergrundorganisation ETA könnte während der Spiele zuschlagen, glich die Stadt einem Polizeistaat.
Doch Barcelona entwickelte sich in Riesenschritten zu dem weiter, was es heute ist: eine moderne aber geschichtsbewusste Stadt, lebensfroh aber zivilisiert, kosmopolitisch aber traditionsbewusst.
Trotz der Bilderflut des digitalen Zeitalters wird der Erstbesucher auch heute noch Überraschendes und Unerwartetes entdecken. Der erste bleibende Eindruck wird vermutlich die geballte Hässlichkeit der Vorstädte sein, egal ob man auf einer der Autobahnen, mit dem Zug oder mit dem Flughafenbus nach Barcelona einfällt. Mächtige Wohnsilos mit vielen Dutzend Wohnungen recken sich zwölf oder fünfzehn Stockwerke hoch in den Himmel. Sie wirken trist und altmodisch und bedürfen dringend einem neuen Anstrich. Man ahnt sofort, dass das süße Leben im sonnigen Süden nicht für alle ein Zuckerschlecken sein muss.
Sieht man ein wenig genauer hin, stechen an den Fassaden die massigen Kompressoren der Klimaanlagen ins Auge. Jede Wohnung hat eine eigene. In krassem Gegensatz zu den Klischees der Reisebranche sind lange heiße Sommer nicht jedermanns Traum. Die Katalanen jedenfalls sind mehrheitlich keine Anhänger hoher Temperaturen und bekunden freimütig, dass ihnen der Winter bedeutend lieber ist als der Sommer. Im Frühjahr und Herbst vernimmt man des Öfteren den Ausruf: »Das ist das perfekte Wetter!«, was in etwa als 20 Grad und Windstille definiert werden kann. Somit gehört die Klimaanlage für