Ich war nie, wie ich hätte sein sollen
Illenau, 1852
Der Herbst stand ins Land. Bald würde sich sein Eintritt als Pflegling in die Irrenanstalt Illenau zum ersten Mal jähren. Er hatte sich ja seinerzeit auf Anraten seines Arztes und von Direktor Bindschedler bereitwillig in die Obhut der hiesigen Ärzte begeben, da er auf Heilung seiner Seelenstörung gehofft hatte. Marie, seine Frau, hatte ihn nach einigem Zögern in diesem Entscheid unterstützt, da sie selber, aufgrund seiner nächtlichen Panikanfälle und schon lange andauernden trüben Stimmung, am Ende ihrer Kräfte gewesen war.
Wie freute sich da Daniel, als sie ihn im August, aus Anlass ihres 31. Geburtstags, zum ersten Mal besuchte. Sie trug ihr dunkelblondes Haar offen, weil er dies so liebte, und er sah wieder die blühende Frau vor sich, die er vor neun Jahren im Aargau kennengelernt und bald darauf geheiratet hatte.
Doch je länger er darüber nachdachte, argwöhnte er, ob die Gefühle, die sie ihm entgegenbrachte, wohl echt sein könnten. Innere Stimmen mahnten ihn, das sei alles nur Schein und Trug. Es könne doch gar keinen Grund geben, ihn zu lieben, ihm seine großen Verfehlungen nachzusehen, und er verfiel sehr schnell wieder dieser trüben Stimmung, die er nur allzu gut kannte und die seine Lebensfreude gänzlich zunichtemachte. Er verabschiedete sich überstürzt und sandte seine Frau zurück zu den Kindern nach Haagen, wobei er es vermied, ihre Zärtlichkeiten zu erwidern.
Diese schlechten Gedanken beschäftigten ihn auch in den folgenden Wochen. Als er einen Brief von seiner Frau erhielt und sich durchgerungen hatte, ihr darauf zu antworten, floss all sein Schmerz und all seine Verzweiflung über sein unerfülltes Leben mit der Tinte auf das Papier.
Liebe Frau! 3
Ich habe Deinen lieben Brief vom 7. ds. erhalten und mit Freuden daraus ersehen, dass Du glücklich zu unseren Kindern nach Hause gekommen bist und sie in bester Ordnung angetroffen hast, was mich herzlich freut, und hoffe und wünsche von Herzen, dass Euch Gott der Allmächtige auch ferner in seinen Schutz nehmen, Euch segnen und mit seiner väterlichen Liebe und Gnade bewachen werde. Recht freut es mich, dass Du Dir so gut zu helfen weißt und dass Dir Herr Bindschedler so zuvorkommend an die Hand geht, wofür ich ihm so herzlich als ergeben danke und bitte Dich ihm in allen Dingen zu gehorsamen, da er Dir besser als ich zu rathen und zu helfen weiß. Wenn Du daher den lieben Wilhelm, welchen Gott segnen und vor allem Bösen bewahren, nach Schinznach thust, so empfehle ihn doch ja recht der Fürsorge unserer Verwandten und grüße Sie recht herzlich von mir und danke ihnen auch in meinem Namen zum voraus für ihre gütige Aufnahme desselben.
Auch das liebe Lisettle und den lieben Otto empfehle ich besonders dem göttlichen Schutz und Segen und bitte Dich jedenfalls sehr zu bedenken, was Du mit dem lieben Lisettle anfängst - Berate Dich da jedenfalls und wie auch wegen des lieben Otto hauptsächlich mit Herrn Bindschedler und mit meiner Mutter und Verwandten. Denn wie Du ja, als Du hier warst, gesehen hast, so kann ich Dir weder helfen noch rathen, indem ich täglich tiefer sinke und ganz ohne alles Gefühl mehr lebe. Ich war nie, wie ich hätte seyn sollen, ich habe mich an allen Menschen versündigt mit denen ich in Berührung war, allein jetzt bin ich ganz verdorben, denn wie gesagt ich lebe ganz ohne alles Gefühl, ohne Glauben und ohne alles was den Menschen noch einen Menschen bestehen lassen kann, und ihm ein längeres Bestehen wünschenswerth machen kann, dies alles hast Du ja bei Deinem Hierseyn selbst gesehen, denn auch da kam nicht die frühere Liebe zu Dir in mein Herz, und mich freute es sehr, dass Du Dich so gut in die Umstände schicken konntest - darum handle nur ganz also ob ich nicht mehr existierte, denn ich sehe nicht vor, dass ich je wieder aufkommen werde, indem ich Dich doch nie wieder glücklich machen könnte, und nur in Schand und Spo