Mögen deine Hände niemals schmerzen
Das Dorf am Sayande Rud
D ie Aussicht auf den Süden versetzt mich in eine willkommene Unruhe, die keinen Platz lässt für einen wehmütigen Abschied vom Norden, vom vertrauten Grün der Küstengebiete und von den Gipfeln und Tälern des Elborz. Leichten Herzens werde ich Teheran den Rücken zukehren und mich dem Orient hingeben, der in meiner Vorstellung gleich hinter der Stadtgrenze beginnt. Da mir der angebliche Reiz der Metropole bisher ohnehin weitgehend verborgen geblieben ist und ich meine Großstadttauglichkeit angemessen bewiesen habe, mache ich mich gut gelaunt auf den Weg in die unbekannte Welt des orientalischen Südens. In eine Welt der faszinierenden Anblicke in Gelb und Braun mit grünen Fleckchen, Oasen in ewiger Trockenheit, die einer sengenden Glut mutig trotzen. Süden - ist das nicht ein Blumenmuster auf einer blauen Kachel, die mit dem Leuchten des Himmels konkurriert? Oder eine Wüstenstadt, in der Windtürme gegen die unbarmherzige Kraft einer gleißenden Sonne kämpfen und sich dabei wehende Lüfte zu Gefährten machen?
Allein schon der Name des riesigen Busbahnhofs versetzt mich in Aufregung: Terminal Djonub, Südbahnhof. Er liegt an der Rahe-Be'sat, einer Straße, die durch diese Bezeichnung an die Aussendung Mohammeds als Prophet erinnern soll. Doch der Taxifahrer benutzt lieber die alte Bezeichnung. An die "neuen", religiösen Namen will er sich auch nach über einem Jahrzehnt nicht gewöhnen.
"Irgendwann benennen sie sie doch wieder um. Während des Krieges hießen viele Straßen nach irgendwelchen Märtyrern. Hunderte von Straßen, die mit 'Shahid', 'Märtyrer', anfingen. Wie soll man da als Taxifahrer den Weg finden? Meine Fahrgäste benutzen auch meistens die alten Straßenbezeichnungen."
Am anderen Ende der Stadt gelegen, hat der Terminal ein westliches Siebziger-Jahre-Design: großzügige Hallen, viel Beton und orangefarbene Plastikstühle. Über den Schaltern der verschiedenen Busgesellschaften leuchten Schilder mit schwungvollen arabischen Schriftzeichen, und ich entziffere "Kerman", "Yazd" und "Schiraz". Hinter den Tresen stehen Männer mit ewig offenen Mündern und verkünden Analphabeten, Kurzsichtigen und Blinden, wohin die Reise geht. Laut und unglaublich schnell rufen sie: "Isfahan, Isfahan, Isfahaan, Schiraz, Schiraz, Shiraaz, Abadan, Abadan, Abadaan", wobei das Letztere aus ihren Kehlen wie eine Zauberformel klingt, und ich würde am liebsten antworten: "Ja, ich komme."
An jeder Ecke bieten Händler ihre Waren an. "Pesteh, Pesteh, Pesteehh", Pistazien, rufen die einen und "Labuh, Labuh, Labuuhh", Rote Bete, die anderen.
Und überall Männer. Nur wenige Frauen sind unter den Reisenden und diese meistens in männlicher Begleitung oder mit einem Kind an der Hand.
Wieder biete ich eine unerwartete, doch, wie es scheint, willkommene Abwechslung. Auch meine echt Teheraner Garderobe, der neue Mantel und das modische Kopftuch "à la arabica" können meine Fremdheit nicht verbergen. Die Blicke der wartenden Fahrgäste fixieren zielstrebig die Charedji. Was sie wohl denken mögen? Das Wissen um die legendäre Freizügigkeit europäischer Frauen hat sicher auch vierzehn Jahre Islamische Republik überdauert. Das ungewöhnlich lange Taxieren einer Fremden ist offenkundig entschuldbar - bei einer Einheimischen würden sie das kaum wagen.
Farhad, der mich unter ausufernden Warnungen vor dieser gewagten Tour zur Station begleitet, sucht inzwischen die richtige Abfahrtsrampe und lässt mich einen Moment lang allein zurück. Das bietet den Mutigsten die Gelegenheit, ein Stück näher zu kommen.
Wie vertraut mir das inzwischen schon ist. Ich habe mir angewöhnt, in solchen Situationen möglichst aufrecht zu sitzen und nicht an den Fingernägeln zu kauen oder in der Nase zu bohren, denn das wäre ein unvorteilhaftes Zeichen von schlechtem Benehmen, Nervosität oder gar Unsicherheit.
Besonderes Aufsehen erregt es, wenn ich jemanden anspreche. Wi