Panzer gegen die Freiheit
Horst Drescher, Schriftsteller,
Jahrgang 1929, war 1953 Student in Leipzig.
Gaby Waldeck
»Und dann kamen die Sieger.« Horst Drescher
Ja die Panzer, die sowjetischen Panzer, die Russenpanzer, von einer Stunde zur anderen waren wir wieder im Kriegszustand, verdeckte, verdrängte Verhältnisse traten offen auf; dabei fiel die Rote Armee ja nicht vom Himmel, sie lebten in den Kasernen, hinter ihren endlosen grünblauen hohen Bretterwänden. Und ganze Armeen in den Wäldern, den Sperrgebieten, seit Jahren ein halbverdrängtes Nichtgeheimnis. In den Straßen sahen wir nur die Offiziersgattinnen in Pelzmänteln und Pelzkappen, Magazin Univermag, Grimmaische Straße.
Das Jahr 1945 hatte ich intensiv erlebt, ein Sechzehnjähriger erlebt intensiv, vor allem, wenn er in Uniform steckt und die Front wochenlang dröhnen hört. Acht Jahre waren vergangen seit jener Zeit, die Angst, die Ängste, die Seele erinnerte sich. Die T34 oder was immer es gewesen waren, sie hatten alle strategischen Punkte der Stadt besetzt. An den Mauern klebten über Nacht kleine Plakate. Befehl Nr. 1, deutsch und russisch. Nächtliche Ausgangssperre und wie eben ab sofort der Stadtkommandant die Befehlsgewalt hat über die Stadt samt den entsprechenden Warnungen betreffs Erschossenwerden bei Zuwiderhandlungen; na, im Museum für Zeitgeschichte wird sich so ein Plakat finden.
Wenn diese schwarzgrünen Kriegskolosse durch die Straßen donnern, so mit fünfzig Stundenkilometern, so drohend rasselnd, da muss nicht geschossen werden, da sind die Machtverhältnisse geklärt. Widerstand sinnlos, zwecklos. Natürlich werden von ganz Mutigen Steine geworfen, aber das erzählt es ja nur. Wenn die Panzer herummanövrierten auf dem Bahnhofsvorplatz in den folgenden Tagen und dabei mit ihren Ketten die graniten Bordsteinbegrenzungsplatten herausrissen und unvermeidlich herumschleuderten, da wussten die Passanten, was von Stund an zu gewärtigen war. Ausnahmezustand.
Aber das alles ist hundertmal erzählt worden in den letzten fünfzig Jahren und von kompetenteren »Zeitzeugen«. Ich bin zwar gelernter Werkzeugmacher, habe aber diesen Arbeiteraufstand nicht in der Zittauer Maschinenfabrik erlebt, sondern als Student, wir waren nervlich verschlissen von wochenlangen Abiturprüfungen, die letzten, die Sportprüfungen, waren am Vormittag jenes 17. Juni. Anschließend wurden wir in die brodelnde Stadt geschickt, um mit den Aufständischen über die Richtigkeit der Politik von Partei und Regierung zu diskutieren. Wie geschockt die Leitung der Fakultät war, das war der erste Schock, so eifrig-freundlich und still hatte ich diese Parteileitung noch niemals erlebt, den Genossen wurde empfohlen, die Parteiabzeichen abzumachen, ernster konnte also die Lage nicht werden.
Durch die menschenerfüllte Stadt fuhren die Straßenbahnen mit den wildesten staatsfeindlichen Losungen; ich dachte, ich bin in einem Film. Über der Innenstadt lag der schwarze Rauch des brennenden »Pavillon der Nationalen Front«, das war ein beachtliches Gebäude, wer weiß, wie es zu dem heiteren Namen gekommen war, die Bibliothek brannte wohl so intensiv. Als wir uns unter die Menschenmenge am Markt mischten, da bahnte sich mit Sirenengeheul ein Löschfahrzeug der Feuerwehr seinen Weg; das Sirenengeheul der Rettungswagen lag den ganzen Tag über der Stadt. Die Feuerwehrmänner kamen aber gar nicht zum Schläucheausrollen; sie wurden mit Pflastersteinen empfangen, es wurde lebensgefährlich, der blanke Hass in den Gesichtern, Rowdyvolk, aber auch viele Studentengesichter, junge Männer um die Zwanzig; man konnte ahnen, nicht zum Studium zugelassen, der Vater abgeholt und in einem Lager »verstorben«, Enteignungen. Gesichter sind immer Summen in solcher Situation. Das Pflichtgefühl der Feuerwehrmänner war erstaunlich, sie mussten fliehen, wagten dann aber eine zweite Anfahrt, es kam nicht einmal mehr zum Halt des Fahrzeugs im Stein