MaiMarktMord
Mannheim, 25. März 2013
"Zehntausend. Sie haben richtig verstanden. Zehntausend Euro in nicht fortlaufend nummerierten, gebrauchten Scheinen." Roggenfell kostete die Situation voll aus. Dabei hatte der ungepflegt wirkende Mann mit dem fettigen Haarkranz noch nicht einmal eine Waffe auf die alte Kassiererin der Neckarauer Volksbankfiliale gerichtet. Trotzdem strahlte er eine Sicherheit aus wie ein unzufriedener Ölscheich, der die Bude aufkaufte, in der er schlecht behandelt worden war, um den Chef zu feuern.
Die Frau schaute ihn misstrauisch an, seine Kundenkarte in der Hand.
"Jetzt zieh die schon in deinen Scheißcomputer rein, Mutti, dann wird dir das blöde Glotzen schon vergehen!" Das war eindeutig zu laut gewesen. Die beiden Kunden, die im Vorraum am Geldautomaten und am Kontoauszugsdrucker standen, reckten die Hälse, und auch der Jungbanker im hinteren Teil der kleinen Filiale blickte hinter seinem Computerterminal hervor. Roggenfell war bekannt in dieser Bank. Ein guter Kunde. Einer, der regelmäßig sein Konto überzog, bis Wasser kam, der sein Häuschen hier finanziert hatte und dem die Schufa höchstens noch einen Ratenkredit für einen elektrischen Wasserkocher genehmigte. Rockefeller nannten sie ihn, wenn keine Kunden zuhörten. Der Mann hatte ein geregeltes Einkommen. Er war Lkw-Fahrer bei einem namhaften Transportunternehmen in Mannheim. Die Frau war vor vier Monaten davongelaufen. Er strampelte sich ab. Immer kurz vor dem Bankrott, wie so viele. Einträglicher Kunde. Massenmarkt hieß das in der Bank. Leute wie Roggenfell bildeten die Muttererde des Kapitalismus.
"Weißt du was? Mach fünfzehn draus. Mir ist noch was eingefallen. Fünfzehn, verstanden? Capito? Comprende?" Derweil huschten die Finger der Kassiererin wieselflink über die Tastatur. Die Augen hinter der altmodischen Brille hatten ihre Verblüffung längst professionell unterdrückt. Die Summe, die sich auf dem Konto befand, war gewaltig. Jedenfalls für jemanden wie Roggenfell. Überwiesen von einer Firma mit Sitz in Cambridge. Schön für den dämlichen Proleten, dachte sie und schenkte ihm ihr verbindlichstes Lächeln:
"Fünfzehntausend, gern. Möchten Sie eine besondere Stückelung, Herr Roggenfell?"
"Hunderter, sonst sieht's ja nach nix aus, und so ein schwules Ledermäppchen hätte ich gerne dafür, falls es Ihnen nichts ausmacht." Wie die glotzte! Roggenfell hätte am liebsten laut losgelacht, als die arrogante alte Kuh seinen Kontostand auf dem Schirm hatte. Der bescheuerte Typ mit dem affigen Mantel und der Woody-Allen-Brille hatte Wort gehalten. Was für ein Spaß!
Vor der Bank blieb Roggenfell einen Augenblick stehen und sah sich um. Der triste Bahnhof mit den schreiend bunten Reklametafeln eines türkischen Supermarktes, die hastenden Menschen auf den Gehsteigen, der Obdachlose, der die Mülleimer checkte, die Bäckerei, in der er vor der Arbeit immer noch einen Kaffee trank. Diesmal nicht. Diesmal ging er nicht zur Arbeit. Er hatte frei. Benz kaufen, Urlaub buchen, den langen Ledermantel besorgen, den er sich schon so lange wünschte. Wie geil war das denn? Er ging die paar Schritte zu seinem geparkten Auto. Fast mitleidig betrachtete er den alten Opel. Fünfhundert würde der noch bringen, oder? Vielleicht sechshundertfünfzig, wenn er ihn noch durch die Waschanlage jagte ...
"Dreihundert, und damit tu ich Ihnen noch einen Gefallen, Herr Roggenfell." Der Mann im C&A-Anzug grinste ihn an, als hätte er dreitausend gesagt. "Und das auch nur, weil Sie Barzahler sind. Den Wagen kann ich nur nach Osteuropa schaffen. Allein der Transport dahin kostet mehr als das Doppelte." Der Türke log, dass sich die Balken bogen, aber das war Roggenfell egal. Er wollte den Mercedes. Heute. Jetzt. Sofort. Es leuchtete ihm aus den Augen wie Neonlicht. Taktisch klug hatte Mehmet Gül den alten E320er s