Finstere Zeiten
[31] Wo alles "sozialistisch" ist
Die Abgeordneten der Europäischen Volkspartei waren empört: Ihre Schwesterpartei, die Nea Dimokratia, hatte im griechischen Parlament gegen die Auflagen des Internationalen Währungsfonds und die EU -Sparmaßnahmen gestimmt. "Wie ist es möglich, dass wir im Europaparlament für das griechische Hilfspaket stimmen, während Sie in Ihrem Parlament gegen die Sparmaßnahmen votieren, die ja mit zum Paket gehören! Das ist unerhört", riefen die Parlamentarier entsetzt, allen voran die Deutschen, weil es ja mittlerweile in Deutschland schick geworden ist, bei jedem Anlass über Griechenland zu schimpfen.
Die EU -Abgeordneten der Volkspartei - ein europaweiter Zusammenschluss von konservativen Parteien - konnten nicht wissen, dass die Nea Demokratia in Griechenland die Maßnahmen abgelehnt hatte, weil sie ihrer langen "sozialistischen" Tradition treu bleiben wollte.
Das ist kein Witz. Griechenland ist tatsächlich [32] der letzte Staat des real existierenden Sozialismus in Europa. Das sagen zwar viele, was sie jedoch nicht erwähnen, ist, dass dieser "sozialistische" Staat nicht von einer kommunistischen Partei, sondern von den rechten Regierungsparteien Griechenlands aufgebaut worden ist. Mit Ausnahme der deutschen Besatzung (1940 - 1944) hat die Rechte in Griechenland über vierzig Jahre lang ununterbrochen regiert - entweder als Diktatur (Metaxas-Diktatur 1936 - 1940), Militärjunta (1967 - 1974), konstitutionelle Monarchie (1944 - 1967) oder als demokratische Mitte-rechts-Regierung (1974 - 1981).
Die Rechte hat während dieser Jahrzehnte ihre Macht stets in zwei Richtungen ausgeübt. Einerseits verfolgte sie unerbittlich ihre Gegner, andererseits verteilte sie Privilegien an jene Teile der Bevölkerung, die ihr gehorsam folgten. Sie baute ein Willkür- und Abhängigkeitssystem auf, das den zentral gelenkten Machtapparaten sowjetischer Prägung viel näher war als einem demokratischen Rechtsstaat.
Vor allem nach dem Bürgerkrieg (1946 - 1948), den die von Britannien und den USA unterstützte Rechte mit erbarmungslosem Terror führte und der mit einer Niederlage der Linken endete, übten die rechten Parteibonzen in der griechischen Provinz eine ähnliche Macht aus wie die [33] Parteisekretäre in der Provinz einer Volksrepublik. Bis Ende der sechziger Jahre waren der Bevölkerung viele Bürgerrechte und Freiheiten verwehrt.
Sammelbecken für die Privilegierten dieses Systems war der Staatsapparat. Jede junge Frau und jeder junge Mann lebte mit dem Traum, nach dem Studium eine Stelle beim Staat zu bekommen. Es hat Familien gegeben, die einem linken Verwandten die Tür vor der Nase zuschlugen, nur um ja nicht als linkenfreundlich zu gelten und so einen Platz im öffentlichen Dienst zu verspielen. Sogar als Gärtner oder Putzfrau beim Apparat eingestellt zu werden, war ein Privileg. Jedes Parteimitglied, jeder Leiter einer Behörde und die gesamte Regierung von den Staatssekretären bis zum Ministerpräsidenten durften ihre Günstlinge - "unsere Kinder", wie sie sie nannten - unbegrenzt und unkontrolliert im Service public unterbringen.
So wie in den Ländern des real existierenden Sozialismus die Nomenklatura und die Parteimitglieder über alle Privilegien verfügten, während die einfachen Bürger schuften mussten, so entstand auch in Griechenland ein System, in dem die Günstlinge der Rechten alle Privilegien bekamen, während die übrige Bevölkerung als Bürger zweiter Klasse lebte.
Dann kam im Jahr 1981 die sozialdemokratische [34] Wende. Andreas Papandreou, Gründer der Panhellenischen Sozialistischen Bewegung Pasok, erkannte seine Chance, sobal