Ben - der Fremdenlegionär
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Kongo 2003
Die Nacht war undurchdringlich, jetzt, kurz vor Sonnenaufgang, schien es am dunkelsten zu sein. Der Wald lauerte wie ein großes, lebendiges Tier auf Ben, beobachtete ihn aus tausend Augen, während er seinerseits ebenfalls auf Wache stand. Gedämpfte Geräusche erreichten sein Ohr, sie vermittelten ihm so etwas wie Normalität. Das Glucksen des Mangrovensumpfes unter ihm, zurückhaltende Vogelstimmen, das nervige Sirren der ewig hungrigen Moskitos und dieser unterschwellig vibrierende Klang des Regenwaldes, an den sich das Ohr schnell gewöhnte. Die Tiere waren eine natürliche Alarmanlage, sobald sich etwas oder jemand näherte, würde er es durch sie erfahren. Trotzdem verließ er sich nicht darauf, sondern blieb wachsam, die Ohren ersetzten dabei sein durch die tropische Nacht außer Kraft gesetztes Sichtfeld.
Ben spürte die Feuchtigkeit des Mangrovensumpfes, den Schlamm, der sich an ihm festsaugte, sobald er seinen Standort wechseln wollte und so saß er, das Famas Sturmgewehr auf den Knien festhaltend, meist auf einer Mangrovenwurzel und bewachte den Schlaf seiner zehn Kameraden, die fest eingeschnürt in ihre Schlafsäcke und mit Moskitoschutz vor dem Gesicht unweit von ihm lagen. Sie mussten die beiden Boote weiter unten zurücklassen, die Motoren hätten sie verraten und selbst, wenn sie die Paddel benutzten, auf dem Fluss wären sie ein zu leichtes Ziel gewesen. An Bord der gut getarnten Pirogen befand sich alles, was sie entbehren konnten, weil es sie nur aufgehalten hätte, so zum Beispiel die Zelte und der größte Teil des Kochgeschirrs. Inzwischen waren sie bereits einen halben Tag lang zu Fuß unterwegs gewesen und gestern Abend auf das Rebellenlager gestoßen, das tief im Regenwald der kongolesischen Tiefebene versteckt lag.
Langsam wich die Nacht dem Morgengrauen, hier im Kongobecken schickte die Sonne einen eng begrenzten, orangefarbenen Nebel voraus, so dass es aussah, als brenne der Planet auf ansonsten gleichmäßig topasblauem Himmel. Vielleicht würde es ja ausnahmsweise mal nicht regnen. Ben wusste jedoch, das konnte sich jetzt in der Regenzeit von einer Minute auf die andere ändern, aber das war nicht weiter schlimm, denn an Nässe waren sie gewöhnt, sie drang bei solchen Einsätzen von überall auf sie ein. Warme Feuchtigkeit, die sie einatmeten, die sich auf ihrer Haut mit dem Schweiß paarte, das brackige Wasser, das durch ihre Kleidung drängte, Schlamm, der seit Tagen ihre Körper unter der Uniform überzog, in sämtliche Körperöffnungen und jede Pore drang, ohne die Möglichkeit, sich reinigen zu können.
Heute würden sie das Lager der Rebellen auskundschaften, sie hatten sich nach der Entdeckung am Vorabend für die Nacht hierher zurückgezogen. Das Unternehmen sah aus wie viele der vergangenen Operationen, es schien nichts Besonderes daran zu sein, aber Ben machte sich Sorgen. Er als Unteroffizier führte die Gruppe auf dieser Mission an und anders als bei früheren Einsätzen zweifelte er im Augenblick daran, dass sie es schaffen konnten, die vier französischen Botschaftsangehörigen, welche vor fast zwei Monaten von aufständischen Milizen aus Kinshasa entführt wurden, allein zu befreien. Er wusste, schon diese Zweifel durfte es gar nicht geben, in der Legion dachte man niemals an ein eventuelles Versagen. Es kam nur auf eine gute Planung und die fehlerlose Durchführung an, bereits vage Bedenken konnten den Ablauf empfindlich stören. Diesmal jedoch gab es seiner Meinung nach zu viele Faktoren, von denen sie nichts wussten. So zum Beispiel, um wen genau es sich handelte, der Bürgerkrieg gebar Krieger wie Kaninchen ihre Jungen. Sie hatten keine Ahnung davon, wie groß das Milizennest da vorne war, welche Bewaffnung die Aufständischen hatten und das Wichtigste - ob die Entführten tatsächlich in diesem Lager festgehalten wurden. Verhandlungen über ein Freikaufen kamen dieses Mal nicht in Frage, es war eine überstürzte, politische Entscheidung gewesen,