Broken Bird: Gefunden
Kapitel 1
Olivia
»So ein Mist!«
In der Dunkelheit über diese dunkle Landstraße zu wandern, war nichts, was ich in meiner derzeitigen Verfassung noch brauchte. Mein Leben war die reinste Katastrophe, aber ich hatte keine andere Wahl.
Ich flüchtete vor meinem Mann, um in England ein neues Leben weit weg von ihm zu beginnen, in der Hoffnung, dass er mich dort nicht finden würde. Aber alles endete in einer weiteren Misere.
Die Wohnung, die ich angemietet hatte, bewohnte schon jemand anderes. Nun stand ich mit nichts da. Ich hatte keine Familie mehr, keine Freunde, keinen Job und jetzt auch keine Wohnung. Ich hatte wortwörtlich alles verloren, besaß nichts außer den Klamotten, die ich trug, und einer winzigen Reisetasche, die gerade einmal das Nötigste für die paar Tage enthielt, die ich für die Reise in meine neue Heimat brauchte.
Die Verzweiflung ließ Tränen in mir aufsteigen. Ich wusste nicht wohin, und zurück konnte und wollte ich auf keinen Fall. Nachdem ich über neun Stunden in einem Flugzeug von New York nach London gesessen und anschließend noch eine Reise in die kleine Grafschaft Somerset im Südwesten Englands hinter mich gebracht hatte, überlegte ich, was ich nun tun sollte. Die Hotelsuche stellte sich als aussichtslos heraus, da derzeit eine Messe stattfand und alle Zimmer ausgebucht waren. Meine Kraftreserven existierten nicht mehr, ich war am Ende.
Aufgrund der Verletzungen, die mein Mann mir zugefügt hatte, bevor ich mich endlich von ihm losreißen konnte, tat mir alles weh, und ich war kaum noch in der Lage, mich auf den Beinen zu halten. Wenn ich keine Bleibe für heute Nacht fand, blieb mir nur eine Brücke. Mir sollte besser schnell etwas einfallen, bevor mich auch noch meine letzten Kraftreserven verließen. Mein Bargeld, das ich mir heimlich in der Zeit angespart hatte, in der ich noch nicht eingesperrt gewesen, sondern arbeiten gegangen war, reichte nicht ewig, denn es war nicht gerade ein Vermögen. Sonst besaß ich noch ein Sparbuch, welches ich vor meinem Mann verborgen gehalten hatte. Dieses steckte, zusammen mit dem Geld, in meiner Reisetasche.
Wegen des Tränenflusses verschwamm meine Sicht. Von der Stadt kommend lief ich weiter. Dunkelheit umfing mich, und ich hatte kein bestimmtes Ziel, aber alles war besser, als einfach irgendwo in dieser Einöde zusammenzubrechen.
Aus diesem Grund befand ich mich schließlich auf einer dieser einsamen Landstraßen, die so typisch für Südengland und doch etwas ganz Besonderes waren. Diese traumhaften Landschaften luden geradewegs dazu ein, erkundet zu werden. Kaum verließ man die Schnellstraßen, landete man sofort im Grünen. Auf kleinen, schmalen und oft gewundenen Straßen ging es auf und ab, vorbei an kleinen Ansiedlungen, über Steinbrücken aus der Römerzeit und durch Alleen, deren Bäume bereits so verwoben waren, dass man fast denke könnte, man würde durch einen Tunnel fahren. Die Straßen waren oft eng und durch bemooste Steinmauern begrenzt. Schon früher hatte ich oft geplant, unbedingt mal hierher zu reisen.
Wäre es Tag und ich nicht so verzweifelt, könnte ich diesen Spaziergang sogar genießen. Doch genau das Gegenteil war der Fall, denn es war düster und unheimlich.
Autos fuhren hier um diese Uhrzeit auch nicht mehr entlang. Hatte ich schon erwähnt, dass ich die Dunkelheit hasste? Zu allem Überfluss begann es nun auch noch zu regnen. Was sollte ich nur tun?
Immer mehr Tränen bahnten sich ihren Weg über meine Wangen. Ich war einfach vollkommen verzweifelt. Meine Gedanken schweiften umher, als plötzlich Lichter vor mir aufleuchteten und mich wieder zurück in die Gegenwart rissen. Ein großer Pick-up fuhr an mir vorbei, doch Sekunden später blinkten plötzlich die roten Bremslichter auf. Der Wagen wurde langsamer und hielt ein paar Meter weiter auf der anderen Seite der schmalen Straße an.
Scheiße, das fehlt