Das Geheimnis der Hexe
Der Knabe im Kupferkessel
Wenn die Kaufleute mit ihren schwer beladenen Planwagen, von Italien herkommend, durch das Altmühltal gen Norden zogen, so bekreuzigten sie sich beim Anblick der Burg Falkenstein und sprachen: »Gib Gott, dass sich der Ohrenabschneider auf Reisen befindet oder dass ihn wenigstens das Gliederreißen wieder so plagt, dass er vor Reißen nicht auf sein Ross kommt.«
Ritter Randolph von Falkenstein, den alle Welt nur unter dem Spottnamen »Der Ohrenabschneider« kannte, hatte die üble Angewohnheit, allen Räubern, die sich auf sein Gebiet wagten, und allen Händlern, die den geforderten Wegzoll nicht zahlen wollten, die Ohren abzuschneiden. Ihm selber fehlte das linke Ohr. Das hatten ihm die Mamelucken abgehackt.
Wenn aus dem Schornstein der Burg Rauch quoll - ein untrüglicher Beweis dafür, dass der Hausherr daheim war -, so beteten die, die seine Bekanntschaft schon einmal gemacht hatten: »Heiliger Sankt Engelmar, beschütze uns vor der Willkür dieses einohrigen Teufels.«
Dass sie den Alten einen Teufel nannten, war nicht recht, denn bei aller Strenge seiner Herrschaft entzündete er dennoch nach jeder Bestrafung eine Kerze auf dem Altar seiner Burgkapelle, die dem heiligen Petrus geweiht war - wahrscheinlich, so meinten die Bauern im Tal, weil auch der einem römischen Kriegsknecht ein Ohr abgehackt hatte.
Beim Laufen stützte sich der Ohrenabschneider auf seinen Säbel, denn er hatte auch nur ein Bein. Das andere war während einer Floßfahrt auf der Donau vom Blitz getroffen worden. Dennoch ritt er wie ein Hunne, und so soff er auch, mit Vorliebe Bockbier. Mehr noch liebte er gutes Essen. Salat und Gemüse stimmten ihn traurig. Nach Knödeln und Kuchen musste er sich kratzen. Deshalb aß er nur Fleisch.
»Karnickel und Esel fressen Grünzeug«, pflegte er zu sagen. »Raubtiere brauchen bessere Kost.«
Er hatte mehr Feinde als Freunde. Aber er hatte ein Weib mit dem schönen Namen Isabella. Trotz des wohl klingenden Namens war sie weiß Gott keine Schönheit. Isabella von Falkenstein hatte mit den Falken nur die ausdrucksstarke Nase gemein. Mit kurzsichtigen Augen blinzelte sie in die düstere Welt der fast fensterlosen Festung. Da nur selten ein Sonnenstrahl in die dickwandige Burg fiel, war ihre Haut weiß wie Fischbauch, und so roch sie auch. Ihre Zähne, sofern noch vorhanden, waren schartig oder schwarz, ihre Sommersprossen und Leberflecken so zahlreich wie die Sterne über dem Altmühltal zur Johannisnacht. Aber sie war fleischig prall an den richtigen Stellen ihres Leibes und in Liebesdingen talentierter als alle anderen Weiber, die der Ohrenabschneider je im Bett gehabt hatte. Und das waren nicht wenige.
Isabella Maultasch, wie sie mit Mädchennamen hieß, war seine dritte Ehefrau. Die beiden anderen lagen in der Gruft unter der Burgkapelle, gemeinsam mit ihren Neugeborenen. Der Tod hatte sie im Kindbett dahingerafft.
»Einer wie ich zeugt nur Söhne«, pflegte der Ohrenabschneider zu sagen, womit er wohl Recht hatte, denn auch das Kind, das ihm Isabella geboren hatte, war ein Junge, ein prächtiger Säugling im wahrsten Sinne des Wortes.
»Der trinkt für zwei«, sagte Isabella. »Ein Glück, dass unsere Amme Milch für drei in ihren Brüsten hat.«
»Prächtige Brüste«, fand der Ohrenabschneider, wenn er beim Stillen seines Sohnes zuschaute.
»Der wird einmal ein richtiger Schnapphahn. Schon bei seiner Geburt war er so schwer wie ein Zwölfpfünder-Dinkelbrot.«
Die Amme nickte mit dem Kopf, obwohl sie nicht begriff, wovon die Rede war. Als Araberin aus dem Land der Mamelucken verstand sie nicht die Sprache ihres Herrn, an den sie von einem maltesischen Sklavenhändler verkauft worden war. »Betrachtet ihr edles Profil«, hatte der sie angepriesen. »Sie ist von urphönizischem Adel. Obwohl sie keine Christin ist, ist sie ganz gewiss eine gute Amme.«
»Recht habt Ihr«, hatte der Ohrenabschneider erwidert. »Auch ungetaufte Kühe geben fette