Das Hotel an der Alster: Drei Romane in einem Band
Kapitel 1
Es goß in Strömen. New York! Frühling in New York? Konnten denn die Dinge nicht wenigstens einmal im Leben vollkommen sein? Ilka sah aus dem Fenster des Taxis, auf die von Regen gepeitschte Park Avenue. Hochhäuser, vom Unwetter verdunkelt, verwandelten die glanzvolle Straße in eine düstere Schlucht. Menschen stemmten sich mit ihren Schirmen gegen den Wind wie kleine, sich vergeblich mühende Spielfiguren. Die Siele konnten die Wassermassen nicht mehr schlucken, und so bildeten sich Pfützen, Ströme, Seen, aufspritzend unter den Autoreifen, es herrschte Weltuntergangsstimmung, und das schon am 29. Mai.
Ich könnte kotzen, dachte Ilka, und legte, wie zur Beruhigung, ihren Arm über den Berg Einkaufstüten, der neben ihr auf der Rückbank des Yellow Cab stand. Der Flug, die Zeitumstellung, dann ein Geschäftstermin nach dem anderen, Lunch mit dem Boss und Dinner mit dem Oberboss, stets derselbe Ablauf und dieselben Gespräche: Jaja, blabla, erstklassige Hotel-Kette, können wir uns 'ne Scheibe von abschneiden, Super-Rendite, genau, Sekretärin im Hansson-Hotel Hamburg, Direktionssekretärin, und zwar gern, nee, nicht verheiratet, nee, leider bin ich nun auch schweinemüde, ja, Ihnen auch eine gute Nacht.
Bitte schön lieb sein, bitte ordentlich Hausaufgaben machen, bitte was Anständiges lernen, bitte zum Diktat, bitte ins Bett, bitte meine Socken, bitte, was gibt's zu essen?, bitte neun Monate nicht hysterisch sein, bitte Biesterpäppeln, bitte Mitverdienen, bitte reg dich nicht auf, bitte versteh mich doch, bitte willige in die Scheidung ein: Dauernd wollen Männer was von einem. Das Leben ist entsetzlich anstrengend, und bei Licht besehen liegt das immer nur an den Männern.
Der Taxifahrer brabbelte in gebrochenem Englisch. Sie sah im Rückspiegel seinen Hungerblick und sein Geier-Grinsen. Er fragte sie etwas. Ilka verstand ihn nicht. Schon wieder ein Mann, der was wollte. Sie fragte nach, immer schön höflich zu diesen Jungs. »Germany«, sagte der Taxifahrer, »do you like Hitler?« Ach du Schande.
»Why should I?« entgegnete Ilka kühl.
»Because he's your leader.«
Ilka wußte: Alarmstufe rot. Taxifahrer in New York konnten wunderbar sein, aber meistens waren sie, wie auch in Deutschland, schlecht gelaunt, aggressiv, reaktionär. Ilka hatte keine Lust auf eine Unterhaltung mit diesem Menschen. Er sprach von Juden, und davon mußte er ihr, Ilka Frowein, nun wirklich nichts erzählen. Am liebsten wäre sie ausgestiegen. Aber für rechtschaffene Empörung war der Mann zu blöd und das Wetter zu schlecht. Und außerdem mußten sie gleich beim Hotel Pierre sein. Ilka besah prüfend ihre Tüten, während der Depp weiter monologisierte.
Sie hatte nur eine kleine Stunde fürs Shopping Zeit gehabt. Kosmetik aus dem Kaufhaus Saks, rote Slipper von Gucci, zwei Hemden von Brooks Brothers für Frank und einen idiotischen Stoffelefanten von Macy's für Marie, die heute Geburtstag hatte. Fünfunddreißig und steckengeblieben, da drüben, in Deutschland, in Hitzacker, der kleinsten Stadt Norddeutschlands. Meine beste Freundin, dachte Ilka, und wir mögen uns so sehr, seit den federleichten Kindertagen. Ach, Marie, du bist mein Stück Erinnerung, mein Wegträumen, meine sentimentale Ader. Du bist die Ruhe, wenn ich der Sturm bin, du bist das Zuhause und ich die Ferne, du bist die heitere Quelle und ich der harte Fels, und das macht unsere Freundschaft aus, eine Freundschaft fürs Leben.
Während der Fahrt hatte Ilka ihre durchnäßten Wildlederpumps ausgezogen. Jetzt hielt das Taxi vor dem Hotel. Der Taxifahrer war mittlerweile beleidigt und drückte wortlos auf die Tastatur des kleinen Belegautomaten, der ratternd die Quittung ausspuckte. Während der Portier, einen großen Schirm in der einen Hand, mit der anderen die Tür öffnete, freundlich grüßte und die Tüten aus dem Taxi nahm, reichte Ilka fünf Dollar nach vorn, stieg flink aus, knallte die Tür zu und