Das kleine Weingut in der Toskana
1. KAPITEL
Chi lascia la via vecchia per la nuova, sa quel che lascia ma non sa quel che trova.
Jene, die das Alte zurücklassen, wissen, was hinter ihnen liegt, nicht aber, was sie finden werden.
Ich schloss die Augen und atmete tief ein. Warme Luft füllte meine Lunge wie Balsam. Sie schmeckte nach Hochsommer, obwohl in England der Frühling gerade erst begonnen hatte. Nach der frischen Kühle von London wirkte diese aromatische Luft sonderbar einschläfernd.
»Soll ich nicht lieber die Klimaanlage einschalten?« Der beleidigte Tonfall des Taxifahrers machte mir deutlich, dass er die sterile Luft einer Klimaanlage der frischen Landluft vorzog.
Zögernd schlug ich die Augen wieder auf. Das Autofenster ließ ich jedoch offen. Da ich einen fürstlichen Preis für diese Fahrt quer durch die Toskana bezahlte, konnte ich ja wohl das Fenster auflassen, wenn mir danach war. Ich atmete erneut tief ein, diesmal aber nicht, um die sprichwörtlichen Rosen zu riechen, sondern um mich zu beruhigen.
Einatmen. Bis drei zählen. Ausatmen. Und entspannen.
Es war unglaublich, dass ich jetzt erst lernte, die Stresssignale meines Körpers zu erkennen und damit umzugehen. Ich hatte mich all die Jahre, viel zu viele Jahre, ständig zu Höchstleistungen angetrieben. Mir zu lange die Zeit versagt, auf meinen eigenen Körper zu hören. All diese Jahre hatte ich mich nur auf ein einziges Ziel fokussiert - und wohin hatte mich das gebracht? Ins Exil.
Wenn ich es doch ein bisschen ruhiger hätte angehen lassen! Wenn ich nur einmal im Jahr wie all die anderen Urlaub gemacht hätte, statt mir für meine Hingabe auch noch auf die Schulter zu klopfen! Hätte ich meine Priorität auf ein paar Stunden mehr Schlaf jede Nacht gelegt, wäre ich vielleicht jetzt nicht gezwungen gewesen, hier mitten im Nichts herumzuhängen.
Aber all diese »Hätte-wäre-wenns« langweilten mich schon jetzt. Ich nahm mein Handy aus meiner Handtasche und warf einen Blick auf das Display. Keine entgangenen Anrufe. Nicht mal eine SMS. Es musste doch mittlerweile bestimmt irgendjemand aus dem Büro versucht haben, mich zu erreichen? Heute Morgen hatte dieses wichtige Treffen mit dem Finanzvorstand der Delta Corporation stattgefunden. Würde Cleo mich nicht wenigstens darüber informieren, wie es gelaufen war?
Einatmen. Bis drei zählen. Ausatmen und entspannen.
Auf der Habenseite durfte ich verbuchen, nicht einfach gefeuert worden zu sein. Ich hatte einen derartig dummen Fehler gemacht! Einen dummen und vor allem kostspieligen Fehler, die Art Fehler, den man nur mit jeder Menge unterwürfiger Speichelleckerei ausbügeln konnte. Ich war zu Kreuze gekrochen, so gut ich es nur konnte, aber der Rest meines Teams war immer noch dabei, die Scherben zusammenzukehren.
Ich massierte meine Nasenwurzel. Ich konnte wirklich von Glück reden, immer noch einen Job, ein Haus und ein Leben zu haben, die in England auf mich warteten. Aber ein von oben angeordneter »Erholungsurlaub« fühlte sich nicht wie Glück an. Sondern wie eine Bestrafung.
Wenn sämtliche rechtlichen Formalitäten bezüglich Johns Anwesen erledigt waren und ich sein Eigentum auf den Immobilienmarkt geworfen hatte, was sollte ich dann die weiteren vier Monate mit mir selbst anfangen?
»Das ist keine Strafe«, hatte Kevin mir versichert. »Betrachte es einfach als all deine nie eingereichten Urlaube auf einmal.«
Dann hatte er mir wieder diesen Blick zugeworfen, diesen ganz besonderen Blick, der besagte: »Wenn du früher einmal Urlaub genommen hättest, wären wir vielleicht immer noch zusammen.« Als ob ich ihn vermisste und wiederhaben wollte. Gott bewahre!
Ich merkte erst, dass ich verächtlich geschnaubt hatte, als ich im Rückspiegel die erhobenen Augenbrauen des Taxifahrers sah.
Ich blickte wieder aus dem Seitenfenster. Wir fuhren gerade in einem weiten Bogen um Montalcino herum. In der Nachmittagssonne glänzte die mit