Der Tod ist schwer zu überleben
Kapitel 1
Ein neuer Anfang
Ich glaube, ich kann mit Berechtigung sagen, dass von einem Auto angefahren zu werden, gegen ein Brückengeländer zu schlagen und dann im Dreckwasser der Spree zu ertrinken, keine Erfahrung ist, die man irgendwem wünscht. Geschweige denn nachahmen sollte. Schlimmste Jahrmarktfahrt aller Zeiten. Aber genau das war es, was mir widerfuhr.
Die Ärzte waren überrascht, dass ich den Unfall lebend überstanden hatte. Passiert ihnen auch nicht alle Tage, dass so ein Fall eingeliefert wird. Meinen Verletzungen nach zu urteilen, dachten sie vermutlich, ich sei der schlechteste, aber mit dem größten Glück gesegnete Stuntman aller Zeiten.
Ich wusste es natürlich besser. Ich hatte gar nicht überlebt, aber ich wollte damit nicht hausieren gehen. Selbstverständlich war ich dankbar, eine zweite Chance zu bekommen, aber es war keine gute Idee, den Ärzten auf die Nase zu binden, dass ich nur lebte, weil ich die anthropomorphischen Versionen von Tod und Leben persönlich kannte und sie verhindert hatten, dass ich in die ewigen Jagdgründe einging. Vermutlich hätte mir das einen Aufenthalt in einer ganz anderen Form von Heilanstalt eingebracht.
Ich verbrachte etliche Wochen im Krankenhaus, bis sich mein Körper wieder halbwegs in die Form gebracht hatte, die ein Mensch haben sollte. Meine Exfrau Anja und unser gemeinsamer Sohn Tobias besuchten mich regelmäßig und brachten mir Essbares mit, das zumindest den Namen verdiente. Beim Krankenhausessen war ich mir nicht so sicher, ob man damit nicht eine baldige Rückkehr ins Hospital sicherstellen wollte. Andererseits hätte einen manche Suppe dort gegen den atomaren Holocaust immun gemacht. Eigentlich musste das Essen sehr gesund sein, denn ihm fehlte es in jeder Hinsicht an Geschmack.
Die Genesung gab mir Zeit, über mein Leben nachzudenken. Nicht jedem ist es vergönnt, sein Leben nach einem so einschneidenden Erlebnis fortzuführen. Aber gerade deswegen macht man sich Gedanken, ob man es so wie bisher fortsetzen will. Ich hatte im Bewusstsein zu sterben viele Entscheidungen getroffen, die ich so nicht mehr treffen würde. So hatte ich nicht um Anja gekämpft, nachdem ein Missverständnis uns auseinandergebracht hatte. Ich wollte ihr den Schmerz über meinen frühen Tod ersparen und nahm an, durch eine Trennung wäre es einfacher für sie. Mittlerweile war ich mir da nicht mehr so sicher.
Ich war sehr erleichtert, als mir die Ärzte erlaubten, das Krankenhaus zu verlassen, auch wenn ich längst noch nicht wieder in Ordnung war. Anja und Tobias holten mich ab, da meine Beinknochen noch nicht verheilt waren, und kutschierten mich im Rollstuhl hinaus. Nach Wochen hatte ich endlich den Eindruck, dass alles gut werden würde.
Anja nahm mich mit zu sich nach Hause. Sie argumentierte, dass sie sich so besser um mich kümmern konnte, obwohl ich sie gar nicht darum gebeten hatte. Mir war es fast etwas unangenehm, weil ich gerade ihr gegenüber nicht als jemand auftreten wollte, der auf der faulen Haut liegt und ihr sagt, was sie mir zu bringen hat. Aber viel mehr als herumliegen konnte ich eben nicht, und sie sagte, dass sie mir gerne half. Natürlich war ich dankbar, denn zum einen wäre ich in meinem Zustand in der eigenen Wohnung gar nicht klargekommen, zum anderen brauchte ich so nicht mal einen Vorwand, um mit ihr und Tobias zusammen zu sein. Und irgendwie hatte ich den Eindruck, dass es ihr ebenfalls nicht nur darum ging, mich besser pflegen zu können.
Wahrscheinlich hätte ich auch bei meiner Mutter unterkommen können, die als Rentnerin über mehr Zeit als Anja hätte verfügen müssen. Aber wie das mit Rentnern so ist: Die sind immer mit irgendwas beschäftigt. Besonders dann, wenn sie glauben, dass ihr Sohn vielleicht wieder mit der Mutter ihres Enkels zusammenkommt.
So weit schien wirklich alles gut zu sein. Tagsüber, wenn Anja arbeitete und Tobias in der Schule war, packte mich mitunter die Langeweile. Es macht das Leben