Die Halbschwestern: Die Töchter Englands - Band 7
Ein General zu Besuch
Beau war zurück. Er stand vor mir, elegant, arrogant und unwiderstehlich charmant. Ich begann wieder zu leben, warf mich in seine Arme und bestürmte ihn mit Fragen.
»Beau! Beau! Warum bist du fortgegangen? Warum hast du mich verlassen?«
»Ich war immer hier, ganz nah ...«, antwortete er. Seine Stimme hallte überall im Haus wider. »Nah ... nah ...«
Dann wachte ich auf und merkte, daß er nicht bei mir war. Es war nur ein Traum gewesen. Trauer erfüllte mich, denn ich war wieder allein und noch verzweifelter, weil ich einen Moment geglaubt hatte, er sei zurückgekehrt.
Er war nun schon über ein Jahr fort. Wir hatten heiraten wollen, alles war fest ausgemacht. Unser Plan sah vor, ein zweitesmal zu fliehen - das erstemal war mißglückt -, und diesmal waren unsere Vorbereitungen viel sorgfältiger gewesen. Beau hielt sich in dem Spukhaus versteckt, und ich besuchte ihn dort. Meine Familie ahnte nichts davon. Man glaubte, uns getrennt zu haben. Doch wir waren klüger als sie und planten geschickt jeden unserer Schritte.
Meine Familie mochte Beau nicht, insbesondere meine Mutter, die fast Zustände bekam, wenn nur sein Name erwähnt wurde. Ich merkte von Anfang an, daß sie beschlossen hatte, unsere Heirat zu verhindern. Zeitweise glaubte ich, sie sei auf meine Liebe zu Beau eifersüchtig, doch später dachte ich anders darüber.
Ich hatte mich den Eversleighs nie ganz zugehörig gefühlt, obwohl meine Mutter Priscilla mir immer zu verstehen gegeben hatte, wieviel ich ihr bedeutete. Sie war mir viel zu besitzergreifend vorgekommen, ganz anders als Harriet, die ich lange Zeit für meine wahre Mutter gehalten hatte. Harriet mochte mich gern, war aber nicht überschwenglich. Sie überwältigte mich nicht mit ihrer Zuneigung. Wenn sie erführe, daß Beau und ich schon vor der Hochzeit unsere Ehe vollzogen hatten, würde sie sicherlich nur lachend die Achseln zucken, während Priscilla sich mit Bestimmtheit aufführen würde, als sei ein großes Unglück geschehen. Dabei war mein eigenes Vorhandensein der Beweis dafür, daß auch sie in diesen Dingen keineswegs konventionell gewesen war.
Es ist inzwischen allseits bekannt, daß ich ein Bastard bin, die illegitime Tochter von Priscilla Eversleigh und Jocelyn Frinton, der zur Zeit der papistischen Verschwörung enthauptet wurde. Natürlich hatten er und meine Mutter vorgehabt zu heiraten, doch er war gefaßt und hingerichtet worden, bevor sie es tun konnten. Dann hatte die liebe Harriet es übernommen, meine Mutter zu spielen, und war mit Priscilla nach Venedig gereist, wo ich geboren wurde. Als ich all dies später herausfand, war ich hochzufrieden über meinen melodramatischen Eintritt ins Leben. Erst als mir der Onkel meines Vaters sein Vermögen vererbte, ließ sich die Wahrheit nicht mehr verheimlichen. Inzwischen hat man sie allgemein akzeptiert. Ich lebe mit meiner Mutter und ihrem Mann Leigh auf Eversleigh Court; Harriet besuche ich allerdings immer noch häufig.
Priscilla und Leigh waren damals ins Dower House auf dem Gelände von Eversleigh gezogen und wohnten dort mit meiner Halbschwester Damaris und mir. Ganz in der Nähe liegt Enderby Hall, wo ich mich immer mit Beau traf. Enderby Hall wurde mir vom Onkel meines Vaters, Robert Frinton, vererbt. Es steckt voller Geheimnisse und soll angeblich sogar verhext sein.
Merkwürdig ist, daß mich Enderby schon in meiner Kindheit fasziniert hat, bevor jemand auch nur ahnen konnte, daß es einmal mir gehören würde. Irgendeine schreckliche Tragödie hatte dort stattgefunden, und das Haus besaß tatsächlich eine gespenstische Atmosphäre, die Beau gefiel. Er pflegte die Geister zu rufen und sie aufzufordern, uns zu besuchen. Wenn wir auf dem Himmelbett lagen, zog er die Vorhänge zurück und sagte zu mir: »Sie sollen ruhig an unserer Seligkeit teilhaben, Carlotta.« Er war kühn und verwegen und scherte sich um nichts und niemanden. Ich war sicher, daß er keineswegs ängstlich gewesen w