Die Jahre ohne dich
Kapitel 2
Elisabeth mochte ihre neue Heimat Hamburg. Die Trümmerberge und die Knappheit an allem, was lebensnotwendig war, nahm sie als gegeben hin, sie kannte es ja nicht anders. Sie war gern am Fluss, wo ihr Vater im Oberhafen, unweit des Hauptbahnhofs, seine Sägerei hatte. Die Kontorräume gingen zur Straße hinaus, auf der anderen Seite lag die Elbe. Durch ein wuchtiges Holztor gelangte man von der Straße in den rechteckigen Hof. Rechts wurden die eingehenden Stämme gelagert, auf der linken Seite befanden sich die beiden Hallen. In der einen stand die Gattersäge, in der anderen wurden die Stämme vermessen, gekennzeichnet, entrindet und weiterverarbeitet. Das fertig gesägte Holz wurde bis zum Abtransport am Ende des Hofs gelagert. Ein einfaches Schienensystem sorgte dafür, dass das Holz per Hand auf Loren vom Hoftor zur Entrindung geschoben werden konnte.
Wenn man sie ließ, saß Elisabeth stundenlang im Büro ihres Vaters auf der breiten Fensterbank, die Füße untergeschlagen, und sah auf das glitzernde Wasser hinaus. Sie kannte bald die Flaggen der Schiffe aus aller Herren Länder und konnte auch verschiedene Schiffstypen voneinander unterscheiden.
Auf der anderen Seite des Hafenbeckens standen die rot geklinkerten, mit Türmen verzierten Speicher mit ihren grünen Kupferdächern. Von dort wehten die unterschiedlichsten Gerüche zu ihr herüber. Es roch nach Kaffee, nach scharfem Pfeffer, nach Tee, manchmal auch nach nasser Wolle, wenn die Orientteppiche feucht geworden waren. Diesen Geruch mochte sie nicht, und sie rümpfte jedes Mal die Nase darüber. Sie konnte von ihrem Platz aus sehen, wie die Waren in Säcken von den Schiffen hoch hinauf in die einzelnen Böden gehievt wurden. Oben standen die Männer in den offenen Luken und zogen die Säcke mit Enterhaken zu sich heran.
Diesem Treiben konnte sie stundenlang zusehen, ohne sich zu langweilen. Der Anblick des Flusses beruhigte sie.
»Du hast früher schon gern aufs Wasser gesehen«, meinte ihre Mutter einmal, als sie sie im Büro des Vaters abholte. »Ich musste deinen Kinderwagen immer so hinstellen, dass du auf das Wasser hinuntersehen konntest.«
»Welches Wasser denn?«, fragte Elisabeth, doch ihre Mutter wandte den Blick ab und antwortete nicht.
Wenn ihr Vater einen Rundgang durch die Sägerei machte, dann nahm er sie mit und befahl ihr, sich dicht bei ihm zu halten. Allein durfte sie die Hallen nicht betreten, weil es für ein kleines Mädchen zu gefährlich war. Das Kreischen der Säge, wenn einer der riesigen Stämme auf dem Tisch hindurchgeschoben wurde, um ihn nach und nach in Bretter und Balken zu teilen, war ohrenbetäubend. Aber Elisabeth hielt sich nie mehr die Ohren zu, nachdem die Arbeiter sie, als sie es beim ersten Besuch in der Halle getan hatte, ausgelacht hatten. Neben den Geräuschen, die hoch und singend waren und plötzlich abrissen, wenn der Stamm das Ende des Sägeblatts erreichte, mochte sie die Gerüche. Sie waren durchdringend und würzig, es duftete nach Harz und manchmal nach verbranntem Holz, wenn das Sägeblatt stecken blieb und sich verkeilte. Das war immer ein besonders gefährlicher Moment. Es kam schon mal vor, dass das Blatt riss und unter dem Druck wie ein Geschoss durch die Halle flog. Nikolaus Michelsen wurde dann fuchsteufelswild und schrie die Arbeiter an der Säge an, gefälligst besser aufzupassen. Meistens waren in einem solchen Fall die Spaltkeile, die am Ende der Säge dafür sorgten, dass die gesägten Bretter sich nicht verkeilten, nicht richtig gesetzt oder der ganze Stamm war nicht sorgfältig genug im Gatterwagen eingespannt und verrutschte während des Sägevorgangs.
Zu dem Geruch des Holzes kam der der beiden dampfenden, schwitzenden Haflingerpferde Hans und Lore. Sie zogen die Stämme vor die Säge und die fertig gesägten Bretter ins Lager. Die schweren Tiere mussten mächtig arbeiten, um die meterlangen Balken zu transportieren. Ihre Hinterlassenschaften lieferten in den ersten Jahren nach d