Die Strauß-Dynastie
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»Ohne Strauß kein Leben!«, rief Hirsch und ruderte mit beiden Armen. Sofort fiel das Publikum in die Parole ein.
»Ohne Strauß kein Leben!«
Im Biergarten Zur Kettenbrücke war die Hölle los! Vor Erschöpfung schwankend, dirigierte Strauß den Kettenbrücken-Walzer. Sein Frack war bis auf die letzte Faser durchgeschwitzt, die linke Hand blutete vom Spielen. Siebzehn Zugaben hatten sie gegeben! Und noch immer tobte das Publikum.
»Ohne Strauß kein Leben!«
»Ohne Strauß kein Leben!«
So laut schrien und klatschten die Tanzpaare, dass sie fast die Kapelle übertönten. Doch das störte Hirsch wenig, im Gegenteil. Die Resonanz des Publikums war die süßeste Musik in seinen Ohren, und er strahlte übers ganze Gesicht.
Strauß das war die Sensation der Wiener Vorstädte! Der Garant für volle Tanzflächen und hohen Getränkeumsatz! Im Roten Hahn, im Schwarzen Bock, Zu den zwey Tauben, im Paradeisgarten ... Joseph Streim platzte fast vor Stolz auf seinen tüchtigen Schwiegersohn. Vierzehn Mann umfasste die Kapelle, eine aus Streich- und Blasinstrumenten bestehende vollständige Musik, wie Hirsch in der Wiener Zeitung inseriert hatte. Seit ihrem ersten Engagement konnte sie sich vor Angeboten kaum retten, und Hirsch hatte die Qual der Wahl. Ja, Johann Strauß hatte allen Grund, glücklich zu sein.
»Das haben s wirklich gerufen?«, fragte Anna, als er am Abend neben ihr im Bett lag und von seinem Auftritt erzählte. Sie waren gerade zwei Monate verheiratet, aber ihr Bauch war bereits so dick, dass sie nur noch auf der Seite liegen konnte. Sie hatte den Kopf in die Hand gestützt und schaute ihn voller Bewunderung an.
Strauß aber verschränkte die Hände im Nacken, und statt ihren Blick zu erwidern, wandte er sein Gesicht ab und blickte zur Decke.
»Ja«, sagte er. »Nur heißt das nichts. Weil, das reißt der Hirsch an und glaubt, ich merk es nicht.«
»Trotzdem, wenn s die Leute aufnehmen? Ich finde das wunderbar. Denk nur damals, wie du angefangen hast beim Vater. Wie ihr nur ein Frackhemd miteinander gehabt habt. Und jetzt haben wir bald eine eigene Wohnung.«
»Und was dann?«, fragte er.
»Was soll denn das? Warum bist denn grantig? Jeder kennt dich, das Geldverdienen geht dir auch leicht von der Hand. Was willst mehr?«
»Ich spiel immer noch in billigen Biergärten. Wenn s hoch geht, im Prater. Es ist alles irgendwie steckengeblieben.«
»Steckengeblieben?« Anna schüttelte den Kopf. »Was redest denn da? Alle Welt liebt deine Walzer und deine Art zu spielen. Kannst denn nie zufrieden sein?«
Zufrieden? Wie sollte er ihr das erklären? Sie würde es ja doch nicht verstehen ... Das hatte nichts mit Zufriedenheit zu tun. Zufrieden war man, wenn man genug Geld verdiente und eine eigene Wohnung hatte. Aber darauf kam es ihm nicht an, weder auf das Geld noch auf die Wohnung ... Von ihm aus konnten sie bis in alle Ewigkeit in den zwei Zimmern hausen, die Streim für sie freigemacht hatte, statt in die Rofranogasse zu ziehen. Ihm ging es um mehr, viel mehr. Ihm ging es darum, ob er es schaffte. Ob er zu denen gehörte, die hineindurften ins Apollo. Oder zu den andern, die wie blöde Schafe vor dem Eingang standen und sich die Augen aus dem Kopf gafften ...
»Ich seh nicht, wie s weitergehen soll«, sagte er. »Und das ist furchtbar. Da ist eine Art Mauer ...«
»Eine was?«
»Ja, eine Mauer, eine hohe Mauer«, sagte er und sah plötzlich wieder die Mauer vor sich, die den