Du und ich und tausend Sterne über uns
Kapitel_1
Acht Monate später
»Da sind wir«, sage ich und reiche Will die Hand, um ihm aus dem Auto zu helfen, das wir am Ende der Straße geparkt haben. Ich atme tief durch und genieße den Anblick der Landschaft, von der späten Nachmittagssonne in Kupfer- und Goldtöne getaucht. Genau so habe ich mir das immer wieder vorgestellt: jedes Mal anders, jedes Mal wechselnd, jedes Mal gleich.
Ponden Hall ist ein aus Licht gebautes Haus.
Es ist ein Signalfeuer, ein Leuchtturm ohne Meer, es blinkt im Dunklen und sendet Nachrichten in die Ferne - für ein paar Auserwählte, die sie hören können.
»Du kannst sie hören, weil du eine Heaton bist und schon immer hier gelebt hast, seit 1540 der Grundstein gelegt wurde. Unsere Vorfahren haben das für dich gebaut und für jeden weiteren Heaton, der je geboren wird«, hat er mir oft gesagt und mir dabei versichernd schwer die Hand auf die Schulter gelegt. »Sie haben das Haus aus dem Berg gebaut. Deine Ma dagegen«, sagte er und senkte die Stimme, »ist keine Heaton, und darum kann sie die Lichter nicht sehen. Sie sieht nur die Schatten.«
Ich habe Ma sechzehn Jahre nicht gesehen. Sie befindet sich irgendwo hinter den dicken, uralten Mauern und wartet nur darauf, mich mit einem »Ich hab es dir ja gleich gesagt« zu begrüßen. Warum also bin ich hier? Weil Abe spurlos verschwunden ist und obwohl ich ganz bestimmt nicht bei ihr Zuflucht suchen wollte, gab es in dieser Situation nur einen einzigen Ort auf der Welt, an dem ich gern sein wollte: zu Hause. Monate verstrichen, Hoffnungen schwanden, das Geld wurde knapp ... und am Ende gab ich dem Ruf des Leuchtturms nach. Ich kehrte zurück nach Ponden. Und Ma ist nun mal auch da.
Will klettert an mir vorbei, lässt mich links liegen, bleibt in der Mitte des Parkplatzes stehen und sieht sich um, versucht eine Landschaft zu verstehen, die meinem in der Stadt aufgewachsenen Sohn so fremd ist, wie es auch die Marsoberfläche wäre, in seinem Fall sogar noch fremder.
Für mich dagegen ist es, als würde ich auftauchen und nach Luft schnappen. Mit einem tiefen Atemzug inhaliere ich die saubere, ruhige Luft und recke das Gesicht dem gefälligen Wind entgegen, der meine erhitzten Wangen sanft streichelt und kühlt. Diese Erleichterung. Diese Freude darüber, an einem Ort anzukommen, wo sogar die Luft eine vertraute Freundin ist. Am liebsten würde ich die Arme ausbreiten, um diesen Ort, den ich die letzten sechzehn Jahre jede Sekunde vermisst habe, zu umarmen. Ich verkneife es mir, weil mein Sohn neben mir steht.
»Hier ist nichts«, sagt Will und zieht die Schultern hoch vor Kälte.
»Wie, nichts?« Ich lasse den Blick über das Tal schweifen, von den Hügeln beiderseits der flachen, kühlen Oberfläche des Stausees zum endlos hohen Himmel. »Hier ist alles.«
»Mir gefällt's hier nicht, ich will nach Hause.« Wills Stimme klingt zerbrechlich und klein. Im folgenden Schweigen ist die Abwesenheit des Londoner Verkehrs zu hören, der nach ihm rufenden Schulfreunde, der gegen den Nachbarzaun rasselnden Fußbälle. Abwesend sind auch das Surren der Waschmaschine und der ständig laufende Fernseher. Und das Lachen von Daddy, der viel zu laut telefoniert, der letzte Mensch auf Erden, der überhaupt gerne telefoniert. Alle Geräusche, mit denen Will aufgewachsen ist, sind in dieser Stille hier abwesend.
»Hier ist es natürlich anders«, sage ich mitfühlend und lege den Arm um seine Schultern. »Ist ja klar, ich weiß. Aber dreh dich mal um, dann siehst du das Haus. Dein Haus. Das Haus, das schon vor deiner Geburt dein war.«
Der Kies unter unseren Füßen knirscht, und ich ignoriere, wie mein Sohn sich unter meiner Berührung versteift, als ich ihn umdrehe, damit er sich das Haus am Hang ansieht.
Dieses Haus, das meine Freundin ist, meine Mutter, mein Zufluchtsort. Ich sehe es im selben Augenblick wieder wie Will. Mein geliebtes Ponden Hall, an den Hang geschmiegt, wie es a