Lord Ajax
Kapitel 1
Im Esszimmer herrschte Stille, seitdem Seine Lordschaft mitten im ersten Gang seiner verwitweten Schwiegertochter auf das Rüdeste anbefohlen hatte, ihn mit Dienstbotenklatsch zu verschonen. Ein Tadel, der ungerechtfertigt schien, war Mrs Darracott doch lediglich damit beschäftigt gewesen, ihrer Tochter auseinanderzusetzen, was sie an diesem Tag unternommen hatte. Allein sie nahm ihn hin, wenn schon nicht mit Gleichmut, so mit milder, langer Gewohnheit entspringender Ergebenheit, und beschränkte sich darauf, einen belustigten Blick mit Anthea zu tauschen und ihrem jungen, wohlgestalten Sohn warnend zuzunicken. Drohend fixierte der Butler den jüngereren der beiden Lakaien, doch die Vorsichtsmaßregel erwies sich als überflüssig: Charles diente zwar noch keine sechs Monate auf Schloss Darracott, war jedoch kein solcher Tropf, um sich, sobald Seine Lordschaft missgestimmt war, auch nur im Geringsten bemerkbar zu machen. »Missgestimmt.« So beliebte Chollacombe sich nämlich auszudrücken, wenn er von Seiner Lordschaft sprach, dem närrischsten alten Kauz, dem aufwarten zu müssen Charles jemals das Missgeschick gehabt hatte. Knorrig, das war er, ein alter Knacker, der immer nur schalt, mäkelte, brummte - und das nun seit Monaten!
Charles hatte sich glücklich geschätzt, auf Schloss Darracott Aufnahme zu finden. Jetzt aber war er fest entschlossen, sein Jahr abzudienen und keine Sekunde länger. Nein, Sir. James mochte es vielleicht zusagen - der stammte aus Kent -, in einem riesigen, weitläufigen Haus zu arbeiten, am Ende der Welt, inmitten öden Marschlands, angesichts dessen jedermann trübsinnig werden musste, in völliger Einsamkeit. Weit und breit niemand, nur die Familie! Ja - Charles war fest entschlossen: kam erst der Tag der Kündigung, ging er nach London. Erstens blies er nicht gerne Trübsal, zweitens gab es in London kleine Zubußen zu verdienen, Aufträge zu bestellen, Briefchen zu übermitteln - Aufträge, kurzum, die jeweils einen Shilling einbrachten. Aber hier, auf dem Land? Waren Botschaften zu überbringen, so stand es zehn zu eins, dass sie einem der Reitknechte anvertraut wurden; und was die »zahlreichen freigebigen Gäste« betraf, denen er aufwarten sollte - Dads Prophezeiungen zufolge -, nun, derlei hatte Dad vielleicht gesehen, in seiner Jugend, nicht aber er, Charles, und am allerwenigsten auf Schloss Darracott!
Oh, über die Erwartungen, die zu hegen Charles sich nicht entblödet hatte, als er sein Glück pries, im Hause eines Edelmannes die Stelle des zweiten Lakaien errungen zu haben! Schöner Reinfall! Das würde er Dad auch sagen.
Charles' Vater, ehemals Butler eines besseren Herrn, nunmehr in ehrenvollem Ruhestand, hatte seinem Sohn nämlich versichert, Dienst auf dem Landsitz eines Lords bedeute durchaus nicht zwölf Monate ländlicher Einsamkeit. Mylord, versicherte Dad, würde die Wintermonate in Kent verbringen, zu Beginn der »Saison« in sein Londoner Stadtpalais übersiedeln und, sobald letztere ihrem Ende zuging, ein Haus in Brighton mieten. Überdies würde sich Seine Lordschaft selbstredend von Zeit zu Zeit entfernen, um Freunde zu besuchen, Zeitspannen, während welcher die Dienerschaft größte Freiheit genießt, ja, vielleicht sogar die Erlaubnis erhalten würde, ihrerseits Urlaub zu nehmen.
Nichts dergleichen geschah auf Schloss Darracott, nichts jedenfalls seit dem Tag, da Charles dort eingezogen war. Mylord, dessen grimme Miene und eiskalter Blick nicht nur Charles' Knie schlottern machten, sondern auch weit kräftigere, residierte jahrein, jahraus auf seinem Stammschloss, lud niemanden ein, wurde von niemandem eingeladen. Und zwar keinesfalls - das konnte Charles niemand weismachen -, weil die Familie um Mr Granville Darracott und Mr Oliver Trauer trug, die beide unweit der Küste Cornwalls ertrunken waren, bei einer unseligen Bootsfahrt. Zugegeben, als das Entsetzliche geschah, diente Charles erst wenige Monate, ab