Mit dem Schlitten auf Wolke sieben
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Gestressten Menschen kann es guttun, sich mit etwas Vertrautem zu beschäftigen. Eine Aufgabe vorhersehen zu können, lindert bisweilen Angst und Unsicherheit. Carrie unterstrich den Abschnitt in ihrem Buch und klappte es dann zu. Sie atmete tief durch und legte das Buch auf den Beifahrersitz neben die halbleere Schachtel mit Zuckerstangen, die sie sich in einem Laden an der Grenze zwischen North Carolina und Virginia gekauft hatte, auf dem Weg zu ihrem nächsten Job.
Carrie war in einer Kleinstadt in North Carolina aufgewachsen und ihr Leben entsprechend sehr berechenbar. Sie ging mit Freundinnen aus der Nachbarschaft in die Schule, und jeden Nachmittag - selbst an den kältesten Tagen - wartete ihre Mutter auf der langen Hollywoodschaukel auf der vorderen Veranda, wenn Carrie aus dem Schulbus stieg. An den Mittwochabenden während der warmen Monate ging sie zum Fußballtraining, an den Dienstagen im Winter zum Tanzunterricht. Wenn es schneite - wie jetzt gerade -, rodelte sie mit ihren Eltern auf dem großen Hügel in ihrem Vorgarten, und hinterher holte ihr Vater Scheite von der hinteren Veranda, damit sie sich vorm Kamin im Wohnzimmer aufwärmen konnten. Carrie und ihre Freundinnen saßen dann mit ausgestreckten Beinen vor den züngelnden Flammen, ihre filzigen Socken alle in einer Reihe, während Carries Mutter ihnen Becher mit heißer Schokolade brachte. Ja, ihr Leben war sehr vorhersehbar gewesen, aber auch voller schöner Erinnerungen.
Und nun saß Carrie in ihrem Wagen, weit weg von allem, was vertraut und vorhersehbar war. Sie hatte diesen Job in Virginia angenommen, weil ihr neuer Boss, Adam Fletcher, ihr ein beachtliches Gehalt angeboten hatte - deutlich mehr, als sie bei ihrem letzten Job verdient hatte. Und es war nur vorübergehend, bis nach Neujahr. Obwohl es all ihren Wünschen widersprach, hatte Carrie beschlossen, dass dies ihr letzter Job als Nanny wäre. Danach würde sie etwas anderes machen. Sie musste ausprobieren, was das Leben zu bieten hatte, und als Nanny ließ sich das schwerlich bewerkstelligen. Immerzu kümmerte sie sich um die Kinder anderer Leute. Sie brauchte Zeit, sich ihr Leben aufzubauen, wenn sie irgendwann mal eine eigene Familie haben wollte. Also würde sie eine nette Reise nach Virginia machen und sich dann auf ihren Vorsatz für das nächste Jahr konzentrieren: einen neuen Beruf suchen.
Carrie war jedes Mal nervös, wenn sie eine neue Nanny-Stelle antrat. Sie kannte die Kinder und die Erwartungen der Eltern an sie noch nicht. Aber sie hatte ihre Methoden, ihre Arbeit letztlich immer zur Zufriedenheit aller zu machen. Sie wusste, was sie zu tun hatte. Und sie war gut in ihrem Job. Hatte sie sich erstmal eingelebt, traf sie selbstsicher Entscheidungen, was die Kinder anbelangte. Und dabei war es gleich, mit was für Kindern sie anfangs konfrontiert wurde - ob quengelig, wild, klammernd oder ängstlich. Carrie hatte ein Talent, ihnen durch alles hindurchzuhelfen, und wenn sie wieder ging, hinterließ sie stets glückliche, gesunde und entzückende Kinder. Carrie konnte Veränderungen in ihnen bewirken, weil sie wusste, dass mehr zu dem Job gehörte, als nur auf die Kleinen aufzupassen. Oft begriffen die Eltern das nicht, doch Carrie wusste es, und nur darauf kam es an. Carrie fühlte sich meistens erst nach einigen Tagen in einer neuen Familie wohl - wenn sie genügend Zeit gehabt hatte, ein Gefühl für die Atmosphäre im Haus und die Persönlichkeiten der Kinder zu bekommen. Dann allerdings konnte sie recht unverblümt sein, wenn es darum ging, was das Beste für die Kinder war.
Sie sah aus dem Fenster. Um sie herum schneite es, und Carrie spürte, wie die Winterkälte in den Wagen drang. Der Himmel war vollkommen weiß und verschwamm mit der schneebedeckten Landschaft. Alle Häuser in dieser Straße waren aus Backstein, und die roten und braunen Fassaden waren die einzigen Farbtupfer. Selbst die Straße war von einer Schneedecke verhüllt, u