Nach New York! Nach New York!
"Ich habe einen Termin!", sage ich jetzt laut und deutlich, mit Klientenstimme. Joe mit dem Goldkreuz macht eine abwehrende Handbewegung, ohne vom Bildschirm aufzublicken.
"Eine Minute", sagt Iossif Lesnik.
Der Unterschied zwischen einer russischen und einer amerikanischen Minute ist mindestens so entscheidend wie der zwischen Fahrenheit und Celsius. Ohne letzteren zu kennen, kannst du mit Aussicht auf einen warmen Sommertag auf offener Straße erfrieren. Ohne ersteren zu kennen, kannst du einen ganzen Tag untätig in einer Anwaltskanzlei verbringen, die keine ist, anstatt einen Wochenendausflug nach Washington zu erleben, das Kapitol, das Kennedy-Grab, das Pentagon und das Weiße Haus zu besuchen und dich restlos davon zu überzeugen, in was für einem Land du gelandet bist. Ich beschließe, dass Iossif Lesnik trotz allem amerikanisiert ist, entscheide mich gegen das Weiße Haus und für die Toilette. Die Toilette ist ein urinsteingelbes Desaster. Das Waschbecken ein graues Stück Plastik. Klopapier und Seife befinden sich vermutlich in einem großen, schwarzen Loch, das von hier bis nach Washington reicht. Als ich von der Toilette zurückkomme, ist eine Minute vergangen, in meiner wie in seiner Zeitrechnung. Iossif Lesnik deutet auf den Stuhl vor dem Schreibtisch, der von Aktenordnern belegt ist. Ich nehme die Aktenordner und lege sie auf einen Karton.
"Das gefällt mir", sagt Iossif Lesnik. Er nickt seinem Laptop zu. Da ich nicht einmal ahne, wovon er spricht, setze ich mich und gebe ihm mit einem Nicken zu verstehen, dass ich bereit bin für das Beratungsgespräch.
"Wie auch immer. Haben Sie Ihre Papiere mitgebracht?"
Ich ziehe meinen Pass aus der Tasche, eine Kopie meines Flugtickets, eine handschriftliche Erklärung, die ich heute Morgen noch verfasst habe, und eine Auslandskrankenversicherung.
Er schüttelt den Kopf. "Ich kann kein Deutsch."
Ich nicke. "Immerhin tragen Sie einen deutschen Familiennamen."
"Na ja." Er schüttelt geistesabwesend den Kopf. Sein Blick, gerade noch von völligem Desinteresse geprägt, ruht nun einigermaßen interessiert auf meinen Brüsten.
"Mein Name tut nichts zur Sache. Deutsch kann ich jedenfalls nicht."
Ich nicke. "Aber das ist doch eigentlich nicht mein Problem?"
Er zuckt mit den Schultern. "Könnte es aber werden. Behörden wollen Papiere sehen und wollen sie auch lesen können."
Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, auf Körpersprache zu verzichten.
"Es ist nicht leicht, Ihre Toilette zu benutzen. Klienten wollen aufs Klo gehen und sie wollen Klopapier benutzen."
Joe Waldman macht ein überraschtes Gesicht. "Kein Klopapier?
Tut mir leid, ich werde es meiner Sekretärin sagen, sobald sie von ihrem verlängerten Wochenende zurück ist."
"Welche Sekretärin?"
Er grinst.
"Welche Sekretärin?"
Er grinst immer noch, dann winkt er mit der Rechten ab. "Soll ich mich um Klopapier kümmern oder um Ihre Papiere?"
Er deutet auf den Master of Fine Arts, aufs Law-School-Diplom und auf den Beleg für seine Staatsprüfung als Immobilienmakler und zuckt mit den Schultern. Erst jetzt sehe ich eine weitere Urkunde. Goldgerahmt schwebt sie mit deutlichem Abstand über den drei Dokumenten. "Certified Pedigree", steht da. "American Kennel Club. Founded 1884.&lsaq