Ostseeliebe: Die Trilogie in einem Band
Prolog
Schon seit Stunden schwebten dicke Flocken vom eisgrauen Himmel. Wenn das so weiter ging, konnte sie ihr Café für heute schließen. Kein Mensch verirrte sich bei dem Wetter an den Rand des Ortes, um in ihren Büchern zu stöbern oder sich ein heißes Getränk aus ihrer reichlich bestückten Karte auszusuchen. Vielleicht konnte sie die Törtchen ihren beiden Freundinnen Anne und Caro vorbeibringen. Anne liebte die Kombination von Apfel und Zimt. Und bei Caro konnte sie zu jeder Zeit mit Nougattörtchen reinschneien.
Immer wieder wanderten ihre Gedanken durch den Flockenwirbel zum gestrigen Abend hin. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Ja, der Schneefall passte hervorragend dazu. Weiß, soweit das Auge sah.
Es war nicht so, dass sie völlig überrascht war. Vielleicht ein bisschen über den Zeitpunkt. Warum hatte er mit der Frage aller Fragen nicht bis zum Heiligen Abend gewartet? Aber so war Arthur nun mal. Der Weihnachtsabend gehörte seiner Familie. Das hatte Tradition. In den fünf Jahren, seitdem sie nun schon ein Paar waren, hatten sie noch kein einziges Weihnachtsfest zusammen gefeiert. Und wenn sie ehrlich war, kam ihr diese Tradition gerade recht. Arthurs Familie wohnte in einem der schönsten und größten Häuser in Ahrenshoop. Viele der wichtigen Posten in ihrem Heimatort bekleidete ein Familienmitglied der Barmstedes. Sie stammten ursprünglich von einem alten Rittergeschlecht ab, aber das war Jahrhunderte her. Trotzdem fühlte sich Stine in den heiligen Hallen der Barmstedes jedes Mal wie in einem Schloss. Die Säulen vor dem Hauseingang ließen schon erahnen, was sie im Haus erwarten konnte. Eine prunkvolle Halle, wo andere einen Flur hatten. Ein Hausmädchen, ein Koch und ein Gärtner waren das Mindeste, was Familie Barmstede sich leisten wollte. Schließlich musste man sich ja auf die wichtigen Dinge im Leben konzentrieren. Arbeit, Macht und die Erziehung der Kinder. Damit diese in die Fußstapfen der Eltern treten konnten. Die Barmstede Werft in Rostock war seit Jahrzehnten ein Familienbetrieb und das sollte auch so bleiben. Noch immer konnten sie gegen die großen Konzerne bestehen, aber nur mit viel Fleiß und Disziplin. Und das hatten schon die Kinder in jungen Jahren erlernen müssen. Matthias, der Älteste, war mittlerweile zum Juniorchef aufgestiegen. Arthur arbeitete als Prokurist in der Firma. Nach seinem Jurastudium war es ein langer Weg für ihn gewesen, seinen Vater davon zu überzeugen, dass er für diesen Posten geeignet war. Schließlich verließ der sich lieber auf seinen »alten« Prokuristen und Freund Karl. Aber als Karl im letzten Jahr so schwer an Rheuma erkrankt war, dass er lange Zeit ausfiel, war endlich die Stunde für den 33-jährigen Arthur gekommen.
Arthur gefiel der Job. Er war abwechslungsreich und verlieh ihm Macht. Er fühlte sich seinem Bruder überlegen, schließlich hatte der noch seinen Vater zum Chef. Arthur konnte gewisse Geschäfte allein vollziehen. Dafür hatte er sich auch durch das Jurastudium quälen müssen, wohingegen Matthias lediglich BWLer war.
Stine lächelte. So weltgewandt Arthur als Geschäftsmann auftreten konnte, so unbeholfen war er ihr am gestrigen Abend vorgekommen. Oder war es seine Unsicherheit? Schließlich war seine Familie noch nie glücklich über ihre Beziehung gewesen. Arthurs Mutter hatte immer etwas Besseres für ihn im Auge gehabt. Aber Arthur hatte all die Jahre zu ihr gestanden, wenn auch manchmal trotzig. Das mulmige Gefühl, was sie dann jedes Mal beschlichen hatte, wenn er bockig wie ein kleines Kind auf seine Familie schimpfte, hatte sie bisher erfolgreich beiseite schieben können. Sie war sich nicht sicher, ob die Beziehung zu ihr nicht nur Arthurs Rebellion gegen seine konventionelle Familie war. Seit gestern jedoch fühlte sich alles anders an.
Arthur hatte sie im Café abgeholt. Natürlich mit seinem neuen Mercedes SUV. Es war nicht so, dass sie in diesem Riesenschlitten nicht gut saß, aber diese