Schlittschuhglück und Mandelduft
1. KAPITEL
Liebe Zoe,
ich weiß nicht, warum ich dir diesen Brief schreibe - ein überfallartiger Anfall einer Depression, vermute ich. Eine der unerwarteten Begleiterscheinungen des Mutterseins, vor denen einen niemand warnt. Plötzlich geht die Fantasie mit dir durch, als würde ein Jack-Russel-Terrier nach deinem Verstand schnappen und damit herumwedeln wie mit einer Stoffpuppe, sodass du am Schluss ein dem Wahnsinn verfallenes Häufchen Elend bist.
Aus irgendeinem Grund habe ich mir heute Abend darüber Gedanken gemacht, was aus Martha wird, wenn ich einmal nicht mehr bin. Also, »aus irgendeinem Grund« stimmt eigentlich nicht - den Grund kenne ich ganz genau. Prinzessin Diana. Ich habe noch Klassenarbeiten korrigiert und dabei diese Dokumentation gesehen - zu ihrem zehnten Todestag.
Der Anblick der beiden Jungs auf der Beerdigung - der kleine Will und Harry - hat diese Gedanken wohl ausgelöst. Sie haben sich so sehr bemüht, tapfer und erwachsen zu sein - und dabei doch nur wie zwei kleine, verlorene Seelen ausgesehen, die sich fragten, wo ihre Mum war. Am liebsten hätte ich sie in den Arm genommen und ganz fest gedrückt. Meine Begeisterung für die Monarchie hält sich ja in Grenzen, aber so ein Schicksalsschlag hat nichts mit Geld oder Gesellschaftsschicht zu tun, oder? Die Mutter zu verlieren - eine Mutter, die ihre Kinder über alles geliebt hat, so wie Diana ihre Jungs offensichtlich geliebt hat - ist einfach schrecklich.
Und so habe ich schließlich aufgrund der Sendung, des Weins und der späten Stunde total aufgelöst dagesessen. Du hättest mich sehen sollen - tränenverschmiert habe ich die Kissen an mich gedrückt und mich vor Trauer um eine Frau geschüttelt, die ich nie kennengelernt habe, und um ihre beiden mutterlosen Jungs. Abgedreht.
Danach konnte ich stundenlang nicht einschlafen und habe nachgedacht - über dich, über Martha und darüber, welche Lieder auf meiner Beerdigung gespielt werden sollen. Herausgekommen ist dabei nichts - ich weiß, es sollte was Würdevolles sein, aber ... na ja, würdevoll sind wir ja wohl eher nicht, oder? Sind's nie gewesen. Mir kommt immer nur was Albernes in den Sinn, wie Boom Boom Boom von den Vengaboys oder Disco 2000 von Pulp, und die Leute tanzen beim Herausrollen des Sargs.
Egal. Letztendlich beschloss ich aufzustehen und stattdessen diesen Brief hier zu schreiben. Ich werde ihn morgen zu einem Anwalt bringen, zusammen mit ein paar anderen Unterlagen, und mein Testament machen. Kein fröhliches Thema, ich weiß, aber ich denke, dass ich mich danach besser fühlen werde. Ich handele ausnahmsweise mal wie ein verantwortungsvoller erwachsener Mensch - nicht gerade mein Fachgebiet, aber es muss sein.
Am allerwichtigsten ist natürlich Martha. Ihr Vater lebt am anderen Ende der Welt. Sie hat ihn bisher nicht einmal kennengelernt, und meine Eltern sind verklemmte Kontrollfreaks. Der einzige Mensch, der sie liebt und sie genauso gut kennt wie ich, bist du, Zoe. Ich habe keinen Schimmer, was die rechtliche Seite betrifft. Ob man ein Kind in einem Testament vermachen kann wie einen alten Ring oder die Erstausgabe der gesammelten Werke von Charles Dickens. Da muss ich mich noch erkundigen.
Doch egal was dabei herauskommt, im Grunde meines Herzens - meines vor Tränen triefenden Herzens, angesichts der beiden mutterlosen königlichen Prinzen - weiß ich schon jetzt, dass sie bei dir aufwachsen soll. Du bist ihre zweite Mum. Du wirst ihr helfen, alles durchzustehen, so wie wir uns geholfen haben in unserer verrückten Jugendzeit. Nichts war perfekt - doch wir haben es geschafft, da wir uns hatten. Du kannst das Gleiche für sie tun. Das weiß ich.
Hoffentlich wirst du diesen Brief nie lesen müssen, Zoe. Hoffentlich bin ich noch da, wenn wir hundert sind und uns im Pflegeheim den Gin hinter die Binde gießen und den Chippenda