Schneeglöckchen unter den Sternen (Teil 1)
Kapitel eins
Nessie blinzelte durch die Windschutzscheibe in die nächtliche Dunkelheit, gegen die nicht einmal das Fernlicht viel ausrichten konnte. "Bist du sicher, dass es die nächste links abgeht?"
Vom Beifahrersitz ertönte ein kurzer Seufzer. "Das sagt jedenfalls das Navi, auch wenn wir so weit weg von der verdammten Zivilisation sind, dass es wahrscheinlich genauso verloren ist wie wir." Samantha klopfte versuchsweise auf das Gerät und stierte dann wieder auf das Display. "In fünfzig Metern links abbiegen."
Nessie trat auf die Bremse und hielt vergeblich Ausschau nach einer Lücke zwischen den dunklen Bäumen. "Da ist aber gar keine Straße, glaube ich."
"Du bist doch diejenige, die schon mal hier war", giftete Sam. "Ich dachte, du kennst den Weg?"
Ja, schon , wollte Nessie erklären, nur letztes Mal war helllichter Tag, und ich hatte einen Anwaltsgehilfen, der mich gelotst hat, statt einer Schwester, die mich für vollkommen orientierungslos hält und immer direkt auf hundertachtzig ist.
Das alles behielt sie jedoch für sich. Sie verkniff es sich auch, ihre Schwester darauf hinzuweisen, dass sie, wenn Sam zur verabredeten Zeit fertig gewesen wäre, nicht erst im Dunkeln hier angekommen wären. Stattdessen konzentrierte Nessie sich darauf, die Abbiegung zu finden, von der Sam steif und fest behauptete, sie würde gleich kommen.
Ein paar Sekunden später war da wirklich etwas: eine Lücke, mehr ein Trampelpfad als eine Straße, mit einer rot-weiß gestreiften Schranke davor, verschlossen mit einer schweren Kette. Sie hielt an. "Ich bin ziemlich sicher, dass wir hier falsch sind."
Sam schnaubte irritiert und riss das Navigationsgerät aus seiner Halterung an der Windschutzscheibe. "Himmel nochmal, dann muss die Postleitzahl falsch sein", fauchte sie und klopfte entnervt auf das Display. "Hast du sie überprüft, bevor du sie eingegeben hast?"
Nessie wusste, dass sie das getan hatte; sie hatte sich die Papiere des Anwalts mehrmals durchgelesen, um sich wirklich sicher zu sein - auch dass sie diese ganze Geschichte mit dem Erbe nicht nur geträumt hatte. Aber als sie nun mit Sams Wutausbruch konfrontiert war, zweifelte sie doch an sich. Sie starrte auf ihre Hände, die verkrampft und zittrig auf dem Steuer lagen. "Ich dachte, das hätte ich. Aber vielleicht hab ich mich vertippt."
Sam atmete langsam aus. "Nein, tut mir leid. Ich wollte nicht so ausflippen, die letzten Wochen waren einfach hart, weißt du ..." Ihr Mund verzog sich zu einem schiefen Lächeln, und sie hielt das Navi in die Höhe. "Hier draußen gibt es eh kein Signal. Wir könnten auch in der Nähe von Luxemburg statt von Little Monking sein, wenn es nach diesem Teil hier ginge."
Trotz ihrer Anspannung lächelte Nessie zurück. "Monkham, nicht Monking. So steht es jedenfalls in diesem Grundbuch, das wahrscheinlich noch aus dem Mittelalter stammt."
"Arsch der Welt würde besser passen", murmelte Sam und ließ das Navi in ihren Schoß fallen. "Und jetzt? Kommt dir hier irgendwas bekannt vor?"
Nessie sah sich um und versuchte, sich die Straße bei Tageslicht vorzustellen. Denk nach , befahl sie sich. Was kam nach der Humpback-Brücke? Eine Kreuzung? Ein Kreisverkehr? "Hinter der nächsten Kurve müsste, glaube ich, eine Abzweigung sein", sagte sie langsam, in der Hoffnung, dass ihre Erinnerung ihr keinen Streich spielte. "Ich meine, da sind wir links abgebogen."
Sam lehnte sich im Sitz zurück. "Lass es uns herausfinden."
Nessie holte tief Luft, legte den Gang ein und fuhr wieder los. "Und, wie ist es dort?", fragte Sam. "Sind wir vollkommen übergeschnappt, dass wir das machen?"
Nessie sah das Star and Sixpence vor sich, wie es oben auf der makellosen Dorfwiese von Little Monkham thronte und sein schwarz-weißes Fachwerk hell in der Wintersonne leuchtete. "Ich hab's dir ja schon gesagt, es ist alt, wurde um 1600