Und wenn sie tanzt
Kapitel 1
Tess tanzte im Regen. Sie tanzte in einem alten Tanktop und im Slip, ihre Füße steckten in traurigen, ehemals silbern glänzenden Ballerinas. Sie stampfte mit den Füßen auf den glitschigen, moosbedeckten Steinplatten unter dem tropfenden Nussbaum, der die Berghütte so viele Jahre geschützt hatte. Heute tanzte sie zu Hip-Hop, gestern zu Reggae, vorgestern ... vielleicht zu Grunge, vielleicht auch nicht, Hauptsache, die Musik war laut, laut genug, um eine Komplizin ihrer Wut zu sein, um die Trauer zu heiligen, die nie, niemals weggehen würde. Die Art von Lautstärke, die in Milwaukee nicht möglich war, aber hier auf dem Runaway Mountain, wo Rehe und Waschbären ihre nächsten Nachbarn waren, konnte sie ihren Sound so laut aufdrehen, wie sie es brauchte.
Der kalte, feuchte Februarwind in East Tennessee trug den Geruch von modrigen Blättern und Stinktier mit sich. Es war nicht das richtige Wetter, um sich nur in Unterwäsche draußen aufzuhalten, aber im Gegensatz zu einem toten Ehemann waren Nässe und Kälte etwas, gegen das Tess vorgehen konnte.
Mit der linken Fußspitze blieb sie an einer gebrochenen Steinplatte hängen, und ihr Schuh wurde ins Gestrüpp geschleudert. Ein Schuh an, ein Schuh aus. Sie schickte ihre ganzen Emotionen in ihre Füße. Ein spitzer Stein bohrte sich in ihre Ferse, aber wenn sie aufhörte, würde ihre Wut sie von innen verbrennen. Sie zwang ihre Hüften in den Schwung, warf den Kopf hin und her, sodass ihre nassen, zotteligen Haare flogen. Schneller und schneller. Hör nicht auf. Hör bloß nicht auf. Sobald du aufhörst ...
»Sind Sie taub?«
Sie erstarrte, als ein Mann über die wackelige Holzbrücke stürmte, unter der der Poorhouse Creek dahinplätscherte. Ein Bergmensch mit struppigem dunklem Haar, einer markanten Nase und einem kantigen Kiefer. Ein Bär von einem Mann - groß wie ein Bergahorn und unempfindlich gegen den Regen -, der ein rot-schwarz kariertes Flanellhemd über einer robusten Arbeitsjeans und Stiefel voller Farbspritzer trug. Sie hatte von diesen Bergmenschen gelesen: Einsiedler, die sich mit einem Rudel scharfer Hunde und einem Arsenal an Feuerwaffen in der Wildnis verkrochen. Sie lebten monatelang - jahrelang - ohne menschlichen Kontakt, bis sie ihre Herkunft vergaßen.
Tess stand da, bewegungsunfähig, in ihrer ollen Unterhose und dem nassen weißen Baumwollhemd, das über ihren Brüsten spannte. Ohne BH, wütend, selbst halb verwildert und sehr alleine.
Er kam durch den Regen auf sie zugestapft, während die klapprige Holzbrücke hinter ihm schwankte. »Ich habe mir diesen Krach gestern Nachmittag gefallen lassen und gestern Abend und dann mitten in der Nacht um zwei Uhr, aber jetzt habe ich die Schnauze voll!«
Sie musterte ihn, verschaffte sich einen ersten kurzen Eindruck. Trotzig gewelltes, widerspenstiges, zu langes Haar, das sich an seinem Hals feucht lockte. Seine Holzfällerkleidung war zerknittert, die rissigen Lederstiefel waren mit einem Dutzend verschiedener Farben besudelt. Sein Bart war nicht lang genug für einen verrückten Einsiedler, aber er machte trotzdem einen verrückten Eindruck.
Sie würde sich nicht entschuldigen. Sie hatte sich zu Hause in Milwaukee genug entschuldigt für die Belastung, die ihre Trauer für ihre Freunde und Arbeitskollegen darstellte, doch hier würde sie es nicht tun. Sie hatte sich für den Runaway Mountain entschieden, nicht nur wegen seines Namens, sondern auch wegen seiner Abgeschiedenheit - ein Ort, wo sie so unhöflich, so untröstlich, so wütend auf das Universum sein konnte, wie sie wollte. »Hören Sie auf, mich anzuschreien!«
»Wie soll ich mich denn sonst verständlich machen?« Er schnappte sich ihren Bluetooth-Lautsprecher, der auf einem trockenen Platz unter den splittrigen Trümmern eines Picknicktisches stand.
»Stellen Sie das wieder hin!«
Er drückte mit einem stumpfen Finger seiner großen Pra