Inklusion
Deutschunterricht zwischen Vielfalt und Gemeinsamkeit
»Behindert ist man nicht, behindert wird man.« So lautet einer der markantesten Slogans aus der Behindertenbewegung, der eine radikale Änderung der Sichtweise auf Behinderung(en) markiert und ein neues Verständnis derselben generiert. Ausgehend von der Feststellung, dass Menschen mit körperlichen oder psychischen Beeinträchtigungen nicht aufgrund ihres »Handicaps«, sondern vor allem aufgrund der gesellschaftlichen Reaktionen auf dieses mit unterschiedlichen Schwierigkeiten konfrontiert sind, wurden in den letzten Jahren vor allem im Rahmen der Inklusionspädagogik Ansätze entwickelt, künstlich konstruierte Barrieren abzubauen. Nicht der Mensch muss sich an die Gesellschaft anpassen bzw. sich in diese integrieren, vielmehr ist die Gesellschaft selbst gefordert, alle Barrieren zu beseitigen, die Inklusion verunmöglichen. Behinderungen sind demnach auch als soziale Konstruktionen zu verstehen, die immer schon diskursive Hervorbringung erfahren. Im Sprechen über Behinderung stehen wir jedoch vor einem Dilemma, wie Michael Ritter, der von einem sprach- und diskursbezogenen Dilemma ausgeht, in Zusammenhang mit inklusivem Unterricht festhält. Um nämlich darlegen zu können, wie Inklusion gelingen und ein möglicher Ausschluss durch geeignete Maßnahmen verhindert werden kann, braucht es immer auch die Erwähnung von jenen Schüler/-innen, an deren »Fall« ein bestimmter Förderbedarf erläutert wird. Diese werden als potenziell gefährdet markiert und damit sonderpädagogisch kategorisiert. »Um über inklusiven Unterricht sprechen zu können, müssen zentrale Ansprüche der Inklusionspädagogik ignoriert werden.« (Siehe Ritter in diesem Band; S. 19)
Für das System Schule bedeutet die durch die UN-Behindertenrechtskonvention abgesicherte Forderung nach Inklusion eine Veränderung der Perspektive und erfährt besondere (bildungs-)politische Brisanz. Sie impliziert die Notwendigkeit, über Aus- und Einschlüsse nachzudenken. Nicht nur die Allgemeinpädagogik ist hier gefordert, insbesondere sind es auch die einzelnen Fachdidaktiken, die Konzepte für uneingeschränkte Teilhabe vorzulegen haben. Selbst wenn sich in den letzten Jahren entsprechende Ansätze mehren, ist das deutschdidaktische Feld bei weitem nicht ausreichend abgesteckt. Der vorliegende ide-Band will einen Beitrag dazu leisten, indem er sich mit Begriffen und Modellen von Inklusion in Theorie und Praxis der Deutschdidaktik auseinandersetzt.
Er geht der Frage nach, welche theoretischen Erkenntnisse in einer inklusiven Deutschdidaktik berücksichtigt werden müssen, welche didaktischen Zugänge sich davon ableiten lassen und wie diese praktisch konkretisiert werden können. Das alles wird vor der Folie diskutiert, nach der sich Inklusion stets im Spannungsfeld zwischen Individualisierung und Standardisierung, Kompensation und Vielfalt sowie zwischen Ansprüchen inklusiver Didaktik und Ansprüchen fachwissenschaftlicher Zugänge bewegt (vgl. Hennies/Ritter 2014, S. 11 f.). Zu klären bleibt, durch welche didaktischen Maßnahmen und Transformationen diese Spannungsfelder aufgelöst werden könnten. Dazu werden Überlegungen und Erfahrungen von Bildungswissenschafter/-innen, Deutschdidaktiker/-innen, Deutschlehrer/-innen und Lehrpersonen für inklusive Bildung eingeholt.
Wir nähern uns dem Inklusionsbegriff aus einer inter- und transdisziplinären Perspektive, wobei der Fokus auf der Kategorie der Behinderung (in einem weiten Verständnis) liegt. Es wird auf unterschiedliche Weise dargelegt, welche Verwendung der Begriff in der bisherigen deutschdidaktischen Diskussion erfährt, inwiefern inklusiver Unterricht an bisherige deutschdidaktische Konzepte anschlussfähig ist respektive wie Sprach-, Literatur- und Mediendidaktik mit Inklusion umgehen.
Im ersten Teil werden politische und strukturelle Rahmenbedingungen geklärt. Zudem fragen die Beiträge danach, wie die auf die Inklusion bezogenen Diskurslinien ver