Schnippelkunst im Schützengraben
II. Buch
Gas
Jetzt, im Sommer, haben sich zwischen den Kreidebrocken am Grabenrand doch noch allerlei Pflanzen angesiedelt, die teilweise durch schöne Blüten erfreuen. Als ich letzthin unseren Wilhelm Gründel, der Vize geworden ist, durch den vordersten Graben begleitete, konnte ich ihn auf drei verschiedene Arten von Mohn aufmerksam machen, nämlich Klatschmohn, Sandmohn und eine weitere Art, deren Namen ich nicht wusste. Auch Kornblumen, Leimkraut, Fingerkräuter und Glockenblumen gibt's da; aber kaum irgendwelche Arten, die ich nicht auch zu Hause in Schleswig-Holstein gefunden hätte.
Bei unserem letzten Eintreffen im Graben finde ich die ganze Blumenpracht vernichtet, alles ist braun und welk. Das hat ein Gasangriff getan. Hin und wieder sind im Graben Glocken angebracht, die bei Gasalarm geläutet werden. Eine schanzende Abteilung wurde kürzlich von einem Gasangriff überrascht. Einige Leute hatten ihre Masken abgelegt und infolgedessen nicht gleich bei der Hand. Das mussten sie mit dem Tod büßen. Auch bei uns war der Graben zeitweise stark vergast. Wir mussten in Masken Dienst tun. Ich hatte eine ziemliche Runde zu machen und kam mit meiner Maske nur langsam vorwärts, denn es atmet sich schwer dadurch. Als ich nach längerer Zeit bei meinem Unterstand angestolpert komme, lachen die Kameraden mich aus. Sie haben keine Masken mehr auf, denn das Gas hat sich inzwischen ziemlich verzogen.
Wir liegen in Reserve. Einige tiefe Stollen am Anfang der Laufgräben bieten uns Unterschlupf. Abends musste ich mit meiner Gruppe nach vorn und Sandsäcke, die von den Pionieren mit Kreidebrocken gefüllt ans Tageslicht gebracht worden sind, über den Grabesrand ausschütten lassen. Der Tommy scheint zu wissen, wann die Arbeit getan wird und macht dann regelmäßig einen Feuerüberfall. Wir wollen ihm zuvorkommen und fertig sein, ehe er mit der Schießerei beginnt. Halb im Laufschritt, so wie es eben dämmert, geht's nach vorn. Da liegt fast der ganze Graben dichtgepackt. Die Arbeit ist nicht schwer, aber unangenehm. Erstens droht das Artilleriefeuer, zweitens können Maschinengewehrsalven besonders den auf Deckung Arbeitenden verhängnisvoll werden. Wir greifen alle tüchtig zu, um schnell fertig zu werden. Als der Feuerüberfall kommt, sitzen wir schon wieder im sicheren Bunker. Am folgenden Abend schaffen wir's wieder schnell, aber auf dem Rückweg im Laufgraben erhalten wir Shrapnellfeuer. Wir sehen die feurigen Explosionen über uns und hören das unheimliche Krachen. Die Vordersten beginnen zu rennen. Alles rennt nach. Ich bin der Zweitletzte, und muss wohl oder übel mit, denn hinter mir rennt ja noch einer. Da stolpere ich. "Sievers", das ist mein Hintermann, wälzt sich über mich hinweg, denn der Graben ist schmal, und Sievers scheint große Angst zu haben. Wie ich zwanzig Meter weiter bin, merke ich, dass meine Gasmaske fehlt. Da kommt ein Trotz der Beschämung über mich. Ich denke an das Wort des wackeren Kameraden "Böhn", der sagt: "Du laufscht und laufscht, und nachher da laufscht grad dahin, wo die Granat platzt. Und nachher ärgerst dich."
Langsam gehe ich, weitere Shrapnelle nicht achtend, zurück bis dahin, wo ich gefallen war, und wo die abgerissene Gasmaske natürlich liegt, nehme sie auf und gehe ebenso langsam den Kameraden nach.
Noch einen Abend haben wir die gleiche Arbeit zu leisten, kommen glücklich zurück und machen es uns im Bunker bequem. Gut, dass wir hier sind, denken wir, denn draußen ist eine Kanonade, schlimmer denn je. Der Eingang des Stollens ist durch eine Holztür und vorgehängte Zeltbahnen verschlossen. Ich lese, einige von uns spielen Karten. Jemand ist neugierig, was oben passieren mag. Er schlägt Holztür und Zeltbahnen zurück und will hinauf. Da schreit er laut auf: "Gas, Gas!" Schnell wird der Eingang wieder verschlossen, aber schon ist eine gute Menge zu uns hinunter