Die Bildung der Menschlichkeit für junge Menschen
MENSCHLICHKEIT IN DER KINDHEIT
1.
Das
weiterdenkende
Kind
(3-6 Jahre)
1.1
Wertebildung im Kindergarten: ein Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung in der frühen Kindheit
Christiane Derra/Simone Breit
Wie sich Werte bilden
"Ich sag dir jetzt was! Lass die Anna in Ruhe spielen und ärger sie nicht wegen ihrem Schnuller! Weil die braucht den eben noch!" Mit diesen Worten weist ein 4-jähriges Mädchen eine Gleichaltrige im Kindergarten zurecht. "Armen Kindern musst du helfen und ihnen Essen geben und auch einen Mantel", erklärt ein 5-Jähriger. "Wenn du reich werden willst, musst du sooo gut Fußball spielen - oder einen Rennwagen haben", erzählt eine 5-Jährige ihrem 4-jährigen Freund. Und die Pädagogin erfährt von einem vier Jahre alten Kind: "Wenn du stirbst, kommst du in den Himmel. Und wenn du wieder stirbst in den nächsten und so weiter. Im letzten Himmel sind die Dinosaurier."
Aussagen wie diese ermöglichen erstaunliche Einblicke in kindliche Gedankenwelten. Manchmal halten sie einen Spiegel bereit, in dem Erwachsene eigene Handlungen und Äußerungen wiederfinden können, und wenn man noch tiefer in sie hineinblickt, entdeckt man vor allem eines: Werthaltungen.
"All I Really Need To Know I Learned in Kindergarten", nennt Robert Fulghum sein Ende der 1980er-Jahre erschienenes Buch. "Wisdom was not at the top of the graduate-school mountain, but there in the sandpile at Sunday School" (Fulghum, 1988, S. 6), meint er und nennt explizit ausgesprochene Regeln und Normen wie etwa "Don't hit people", "Clean up your own mess" (Fulghum, 1988, S. 4), aber auch grundlegende Erkenntnisse über das Leben: "Goldfish and hamster and white mice and even the little seed in the Styrofoam cup - they all die. So do we." (Fulghum, 1988, S. 4f). Die mit diesen Botschaften und Erkenntnissen verknüpften Werte wie Rücksichtnahme und Verantwortung für sich selbst und andere wertet Fulghum (1988) für sein weiteres Leben als bedeutsam. Das Buch rief großes Interesse hervor, wurde millionenfach aufgelegt und wirft interessante Fragen auf: Warum beispielsweise bezieht sich Fulghum explizit auf seine Kindergartenzeit, wo es doch vor, nach und während des Besuchs des Kindergartens gewiss weitere bedeutende Einflussfaktoren (z. B. im familiären Kontext) gab? Wie wurden die angeführten Botschaften (z. B. "Don't hit people!") verinnerlicht - ausschließlich durch Anweisungen und Einforderung von Verhaltensregeln oder durch entsprechende Erfahrungen? "I believe that imagination is stronger than knowledge", schreibt Fulghum (1988) im Vorwort des Werkes und spricht damit inneren, kreativen Verarbeitungsprozessen höhere Bedeutung zu als kognitiver Vermittlung. Kann es also sein, dass der heranwachsende Robert am Prozess der Internalisierung selbst aktiv beteiligt war? Interessant wäre auch die Frage: Wenn Kinder Wertehaltungen in der frühen Kindheit so intensiv verinnerlichen - verhalten sie sich später dann tatsächlich entsprechend? Ebendiese Frage wirft der Autor indirekt auf, indem er spekuliert, um wie viel friedvoller die Welt wäre, wenn alle Menschen sich an ebenjenen Werten orientieren würden (Fulghum, 1988). Die Beantwortung dieser spannenden Frage bleibt dieser Beitrag freilich schuldig, zur Annäherung an eine Antwort wäre es wichtig, Wertebildung als lebenslangen Prozess der aktiven Auseinandersetzung anzusehen, wobei das Kinder- und Jugendalter eine entscheidende Rolle spielt. Kinder sind eben keine Tonklumpen, die man beliebig nach den eigenen Wertvorstellungen formen kann. Elementare Bildungsprozesse sind immer inter- und intraindividuell und transaktional und hochkomplex (Charlotte Bühler Institut [C