Europa und das Reich im Dreißigjährigen Krieg
IV. Europäische Eskalation I: Der Niedersächsisch-dänische Krieg (1623/1630)
1. Der Kriegseintritt Dänemarks
a) Der Niedersächsische Kreis zwischen katholischer Bedrohung und dänischer Expansion
Mit besonderer Sorge betrachteten die - fast ausnahmslos protestantischen - Territorialherren des Niedersächsischen Reichskreises den Ausgang des Böhmisch-Pfälzischen Kriegs. Zunächst hatte der Kreis unmittelbar unter den Folgen des Krieges zu leiden, weil sein Territorium von zwei der im pfälzischen Krieg geschlagenen Söldnerführer des »Winterkönigs«, Christian von Braunschweig und Ernst von Mansfeld, als Rückzugsgebiet genutzt wurde. Die Anwesenheit dieser Truppen war im Kreis unerwünscht, und zwar nicht nur wegen der vielfältigen Belastungen, die von den schlecht bezahlten und versorgten Landsknechten selbst ausging, sondern weil der Niedersächsische Kreis dadurch auch zum Kriegsschauplatz zu werden drohte: Es bestand die Gefahr, dass der Kaiser und seine ligistischen Verbündeten die Präsenz der beiden feindlichen Söldnerführer nicht dauerhaft hinnehmen und ihren Truppen den Einmarsch in den Kreis befehlen würden. Militärisch konnten die niedersächsischen Kreisstände kaum etwas gegen die Anwesenheit der braunschweigischen und mansfeldischen Söldnertruppen unternehmen, weil sie - ebenso wie die meisten übrigen Reichsfürsten - nicht über die dazu notwendigen Streitkräfte verfügten. So waren Verhandlungen über einen gütlichen Abzug der Truppen erforderlich, die sich, nicht zuletzt wegen der enormen finanziellen Entschädigungsforderungen ihrer Kommandanten, als langwierig und kompliziert erwiesen.
Als Bedrohung wurde der Ausgang des Böhmisch-Pfälzischen Kriegs aber nicht nur wegen der aus der Pfalz vertriebenen Söldnertruppen, sondern auch wegen der Problematik der geistlichen Territorien im Reichskreis empfunden. Die weitaus überwiegende Zahl dieser geistlichen Herrschaften hatte sich im Verlauf des 16. Jahrhunderts der lutherischen Reformation angeschlossen; sie machten das Kerngebiet der »Verlustzone« (Eike Wolgast) reichsunmittelbaren Kirchenguts in Deutschland aus1. Von besonderer Brisanz war dabei, dass der Konfessionswechsel dieser geistlichen Herrschaften in der Regel erst nach 1552 vollzogen worden, mithin aus katholischer Perspektive rechtswidrig war (vgl. Kap. II 2 b). Die protestantischen Stände Niedersachsens fürchteten daher nach dem Böhmisch-Pfälzischen Krieg, dass der Kaiser und die Liga ihre neuerrungene militärische Machtstellung nutzen könnten, um diese Territorien mit Gewalt zu rekatholisieren - eine Sorge, die vor dem Hintergrund der massiven Auseinandersetzungen um den Geistlichen Vorbehalt seit den 1580er Jahren verständlich ist (vgl. Kapitel II 2 c). Den wiederholten Versicherungen des Kaisers und der Liga, den konfessionellen Status quo im Reich nicht durch einseitige Maßnahmen zu verändern, schenkte man auf Seiten der protestantischen Stände Niedersachsens, gerade nach dem rigorosen Vorgehen von Kaiser und Bayern bei der Kurtranslation, wenig Glauben.
Als eine Möglichkeit, der katholischen Bedrohung zu begegnen, erschien verschiedenen niedersächsischen Kreisständen der Schutz durch eine große, antihabsburgisch-protestantische Mächtekoalition in Europa. Zunächst waren die Aussichten für ein solches Schutzbündnis tatsächlich recht günstig. Eine Konferenz protestantischer Mächte, die 1621 im holsteinischen Segeberg stattfand, beschloss die Bildung einer antihabsburgischen Schutzallianz. Doch die Segeberger Allianz blieb - vor allem wegen der Zurückhaltung Englands und interner Differenzen im deutschen Protestantismus - zu vage und unverbindlich, um den niedersächsischen Kreisständen wirklich effektiven Schutz bieten zu können. Angesichts der Unwirksamkeit des Segeberger Bündnisses und der fortbestehenden Gefährdung durch kaiserlich-ligistische Truppen w