Nelson Mandela
1. DER JUNGE VOM LAND
Am Abend seines Lebens kehrte Nelson Mandela oft dorthin zurück, wo er aufgewachsen war und eine glückliche Kindheit verbracht hatte: in die rollenden grünen Hügel und saftigen Weiden der Transkei, nach Qunu, 640 Kilometer südlich von Johannesburg direkt an der N2 gelegen, der Schnellstraße von Kapstadt nach Durban. Schon als Präsident Südafrikas residierte er an vielen Feiertagen und am Weihnachtsfest in seinem Bungalow aus großen roten Ziegelsteinen und mit seinen Rundbögen im spanischen Stil. Den Bauplan hatte Mandela selbst entworfen im letzten seiner 27 Gefängnisjahre, den Grundriss übernahm er eins zu eins von seinem letzten Haftort, einem stattlichen Bungalow auf dem Gelände des Victor Verster-Gefängnisses bei Paarl unweit von Kapstadt. Er wählte die Lage seines Heims in der Überzeugung, "ein Mann sollte sterben, wo er geboren wurde"[ 1 ].
Zur Welt gekommen war Mandela am 18. Juli 1918 in dem kleinen Dorf Mvezo wenige Kilometer südlich von Qunu. Sein Vater Gadla Henry Mandela gab ihm den Namen Rolihlahla, was "am Ast eines Baumes ziehen" heißt und umgangssprachlich "Unruhestifter" bedeutet. "Mandela" war eigentlich der Vorname seines Großvaters, den die britischen Kolonialherren kurzerhand zum Familiennamen erklärten. Die Mandelas gehörten zu den Thembus, einem der fünf Hauptstämme des Xhosa-Volks, das seit dem Mittelalter aus der Region der Großen Seen in der Mitte des Kontinents in die Transkei eingewandert war. Nach den Zulus bilden die Xhosas die zweitgrößte ethnische Gruppe in Südafrika. In der Sprache der südafrikanischen Ureinwohner, der Khoisan, bedeutet Xhosa "die wütenden Männer". Mandela sollte seinem Vornamen und dem Namen seines Volks als junger Mann alle Ehre machen. Innerhalb ihres Stamms gehörten die Mandelas zum Madiba-Clan, benannt nach einem Thembu-König aus dem 18. Jahrhundert. Später titulierten viele Bewunderer Mandela respektvoll "Madiba", was in Xhosa so viel wie "der Füller von Gräben" oder "Versöhner" bedeutet. Der Clan zählte zur königlichen Linie der Thembus, allerdings zum "Linke-Hand-Haus" und nicht zum Haupthaus. Damit waren die Mandelas keine Thronaspiranten, sondern Berater des Regenten. Mandelas Mutter Nosekeni war die dritte der vier Frauen Henrys, bei denen der Vater abwechselnd lebte und mit denen er 13 Kinder zeugte - beides Zeichen relativen Wohlstands. Nosekeni oder Henry hatten wahrscheinlich Khoisan-Vorfahren, die man auch "Buschmänner" nennt, auf jeden Fall legen dies Mandelas tiefhängende Augenlider, hohe Wangenknochen und heller Teint nahe. Das wäre nicht ungewöhnlich, lebten Khoisan und Xhosas doch eng zusammen. Viele der markanten Schnalz- und Klicklaute der Khoisan gingen in die Sprache der Xhosa ein, selbst in den Namen des Stamms - das "X" steht dabei für einen Schnalzlaut.
Wenige Jahre nach der Geburt Rolihlahlas verlor Henry seine Position als Häuptling, geriet in wirtschaftliche Schwierigkeiten und schickte Nosekeni mit ihren vier Kindern in die Nähe ihrer Verwandten nach Qunu - eine kleine Siedlung von Rundhütten, gebaut aus einem Gemisch aus Lehm, Schlamm und Kuhdung und mit reetgedeckten Dächern. Die Hütten der paar Dutzend Familien standen meist um ein Viehgehege, den Kraal , und unweit der Felder. Die Mandelas hatten drei Rundhütten: eine zum Kochen, eine zum Schlafen, eine für Vorräte. Zu essen gab es Mais, meist in der Form von Mealie Pap, einem weißen Brei, Sorghumhirsen, Bohnen und Kürbis, zu trinken in Kalebassen aufbewahrte Sauermilch. Nur wenige reiche Familien konnten sich Fleisch, Tee, Kaffee oder Zucker leisten. Mit Freunden streifte Mandela durch die Hügel und Wiesen, zu Hause erwarteten ihn eine liebevolle Großfamilie und, meist für eine Woche im Monat, ein strenger Vater, der absoluten Gehorsam erwartete und auf die strikte Einhaltung der Thembu-Bräuche achtete. Einem Wärter in Robben Island erzählte Mand