Dementia Care Mapping (DCM)
Diese als "discernability gap" oder "disability paradox" bekannte Differenz beschreibt, dass ein hoher Grad an subjektiver Zufriedenheit mit objektiven Einbrüchen bezüglich Kognition, Gesundheit und Verhalten einhergehen kann - eine Differenz, die auch bei alten Menschen ohne Demenz festzustellen ist. Der Grund eher niedriger Beurteilungen der Lebensqualität durch Dritte könnte am Belastungserleben der Angehörigen liegen, insbesondere im Frühstadium der Demenz, wenn die Anpassung an ein Leben mit Demenz noch nicht erfolgt ist (Conde-Sala et al., 2013) oder aber in späteren Phasen, wenn die hohe Abhängigkeit der Personen und ihre zunehmende Apathie zu Buche schlägt (Conde-Sala et al., 2009). Bei professionell Pflegenden kann es an der Arbeitszufriedenheit, den ständigen Unterbrechungen antizipierter Arbeitsschritte, am herausfordernden Verhalten (beispielsweise hohes Bindungsbedürfnis der Person mit Demenz) und an der gesteigerten Abhängigkeit der Klienten liegen, dass die Unterschiede zwischen der Selbstund Fremdeinschätzung groß ausfallen (Mittal/ Rosen, 2007).
1.5 Beobachtung
Eine andere Alternative zur Befragung besteht in der direkten Beobachtung, beispielsweise mit DCM. Die person-zentrierte Hintergrundtheorie von DCM geht davon aus, dass das Erleben und das Verhalten von Menschen mit Demenz und damit auch die Entwicklung und der Verlauf der Krankheit selbst von der unmittelbaren physischen, sozialen und psychischen Umgebung abhängen. Oft wird Erleben und Verhalten zu wenig auf das Hier und Jetzt, auf die konkrete physische, psychische und soziale Umgebung bezogen (Innes/Surr, 2001). Idealerweise sollte die Sichtweise und das Erleben des Klienten im Kontext der routinisierten Tagesabläufe eingebettet und aus diesem heraus verstanden werden (Townsend-White et al., 2012). Betrachtet man Erleben und Verhalten isoliert, was zum Beispiel quantitativ durch Zählung der Affekte beziehungsweise retrospektiv, zusammenfassend aus der Wahrnehmung der Professionellen in Form eines Fragebogens geschieht, dann wird zu wenig aufgedeckt, wie das Erleben und Verhalten im Laufe eines Tages konkret zustande kommt. Es fehlt der Zusammenhang zwischen Prozess und Ergebnis.
Der große Vorteil von Beobachtungen ist der Fokus auf dem Mikrokosmos des sozialen Lebens, der Blick auf die marginalen, nicht verallgemeinerbaren, oft verborgenen Elemente der Praxis: "... der Fokus der Aufmerksamkeit liegt auf den Einzelnen und deren immer wieder sich verändernden Beziehungen und nicht auf der zeitlosen, homogenen, kohärenten, und strukturierten Natur der Untersuchungsgruppe." (Angrosino, 2005: 741; englischer Originaltext: "[...] the focus being on individuals and their ever changing relationships rather than on ... homogeneous, coherent, patterned, and [...] timeless nature of the supposed group". Übersetzung Christian Müller-Hergl.) Es geht demnach um die Beziehung von Kontext und Affekt in einer zeitlichen Perspektive: hier wird dann beispielsweise deutlich, dass Personen mit mehr Interaktion mehr Freude, aber auch mehr Ärger zeigen, dass strukturierte Zeit mit ausgeprägteren Affekten zusammenhängt, zugleich aber an Personen mit schwerer Demenz gleichsam vorbeilaufen. Mahlzeiten stellen für viele Personen Höhepunkte des Tages dar, der frühe Nachmittag ist für Menschen mit schwerer Demenz oft die aktivste Zeit des Tages, die Person und Persönlichkeit der Professionellen ist mit der wichtigste Faktor für das Entstehen oder Reduzieren von Wohlergehen, und Eins-zu-eins-Situationen gehen mit dem höchsten Wohlbefinden einher (Lawton, 2001; Wood et al., 2009; Vasse et al., 2010; Cohen-Mansfield et al., 2010). Viele Befunde lassen keine Generalisierung zu, sondern tragen zur Vermehrung spezifischer Aufmerksamkeit in den kleinen, aber für das Wohlbefinden wichtigen Dingen des Alltags bei: beispielsweise Geschirr nicht abzuräumen, weil dies lange anhaltend und wiederholt von Klienten gestapelt wird; immer wieder für gen